Interozeption entschlüsselt: Was geschieht, wenn Körper und Gehirn sich gegenseitig zuhören

Williams, Caroline
Sich fühlen
Die neue Wissenschaft der Interozeption als Schlüssel für körperliche und geistige Gesundheit

Den Begriff Interozeption hatte ich zuvor nie gehört. Er bezeichnet die Fähigkeit, Körpervorgänge bewusst wahrzunehmen. Dazu gehören Atmung, Herzfrequenz und Verdauung, aber auch Körperspannung und Energielevel – eben einfach alles, was in uns vorgeht. Das sind sozusagen die Rohdaten. Das Gehirn hat das Gegenstück dazu, die Erfahrungswerte. Beides zusammen mündet in einer Interpretation der aktuellen Lage plus einen Handlungsimpuls. So ergibt sich aus dem Druck auf der Blase die Entscheidung, die nächste Toilette zu suchen. Doch Fehlinterpretationen sind häufig. Das flaue Gefühl im Magen kann Hunger oder Nervosität sein. Vielleicht hat der Schwindel etwas mit der Halswirbelsäule zu tun oder ist der Vorbote einer Migräne. Vielleicht sollte ich aber auch einfach nur ein Glas Wasser trinken.

Doch es geht nicht nur darum, Körpervorgänge zu spüren und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Eine erhöhte Herzfrequenz kann ein Alarmzeichen sein. Unruhe und Anspannung sind die Folge. Das Zusammenspiel von Körper und Gehirn ist jedoch keine Einbahnstraße. Wer seinen Herzschlag wahrnimmt und Techniken kennt, ihn bewusst wieder zu normalisieren, kann in Stresssituationen gelassener bleiben.

Damit habe ich lediglich die einleitenden Kapitel von Caroline Williams Buch »Sich fühlen. Die neue Wissenschaft der Interzeption als Schlüssel für körperliche und geistige Gesundheit« zusammengefasst. Darauf folgt das, was mir bei dieser Art Sachbücher immer besonders viel Spaß macht: forschende Wissenschaftler*innen zu beobachten. Wie kamen sie auf die Idee und wie war die Versuchsanordnung? Was hat sich so ganz anders entwickelt als erwartet und wohin könnte die Reise noch gehen? Ich mag das sehr und allein diese Kapitel wären schon ein guter Grund, das Buch von Caroline Williams zu lesen. Erkenntnisgewinne für das eigene Leben garantiert!

Doch genau da setzt die Autorin noch einen drauf. Die letzten Seiten gehören der Frage, wie die Leser*innen das neue Wissen für sich nutzen können. Ganz praxisnah wird erläutert, wie sich Interozeption trainieren lässt. Einmal, um die Signale unseres Körpers selbst exakter einzuschätzen und dadurch bessere Entscheidungen zu treffen. Ist es Hunger oder Langeweile ist dafür noch eines der geläufigeren Beispiele. Doch es gibt so viel mehr Möglichkeiten! Interozeption lässt sich auch nutzen, um sich aus Motivationtiefs aufzuraffen oder in Stresssituationen gelassener zu bleiben. So wird aus neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen ein Ratgeber für den Alltag!


Infos zum Buch:

Caroline Williams
Aus dem Englischen von Susanne Warmuth und Jorunn Wissmann

Sich fühlen
Die neue Wissenschaft der Interzeption als Schlüssel für körperliche und geistige Gesundheit

C.H.Beck Verlag


Für mich selbst enthielt das Buch zudem ein paar kluge, griffige Sätze, die mich noch lange beschäftigen werden. Hier eine Auswahl:

… ohne den Rest des Körpers hat das Gehirn nichts zu denken oder zu kümmern. Selbst Erinnerungen hätten keinen Sinn mehr, wenn es keinen Körper gäbe, durch den wir sie fühlen können.

Caroline Williams, Sich fühlen. S. 41

Unsere Verbindungswege zwischen Körper und Geist entwickelten sich unter der Voraussetzung, dass Bewegung ein Teil der Lösung ist.

S. 192

Stress folgt letztlich aus der Unsicherheit darüber, ob wir über die Ressourcen verfügen, mit einer kommenden Herausforderung zurechtzukommen.

S. 196

Ein Mangel an Energie und Motivation hat oft nichts mit der Ernährung zu tun, dafür aber viel mit dem Gefühl, dass wir nicht leisten können, was von uns erwartet wird.

S. 203

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