Die verborgene Tierwelt unserer Städte

Buch: Die verborgene Tierwelt unserer Städte
Wie ich die Wildnis verließ und mich in der Stadt wiederfand

Der Anfang täuscht. Was mit einer toten Kakerlaken beginnt, wird schnell sehr lebendig. Ein Jahr lang muss es der Biologe Marco Granata aus beruflichen Gründen in der Großstadt aushalten. Häusermeere, Beton, viele Menschen, wenig Grün – für ihn, der sonst in der Nähe der Berge lebt, eine lebensfeindliche Umgebung. Doch es kommt anders. Ein bisschen zumindest.
Ausgehend von der toten Kakerlake beginnt er, Insekten in der Wohnung zu erforschen. Von dort geht es auf den Balkon zu den Schmetterlingen und weiter zu den Vögeln. Seine Kreise werden größer. Säugetiere wie Eichhörnchen und Füchse folgen. Bis er schließlich am Stadtrand ankommt, wo die Stadt in die Natur übergeht.

Ich fand das Buch »Die verborgene Tierwelt unserer Städte« immer dann besonders stark, wenn der Autor seine Sicht auf die urbane Wildnis reflektiert. Zunächst verschleiert ihm die Sehnsucht nach den heimatlichen Bergen den Blick. Doch er entschließt sich, die Natur der Städte so zu betrachten, wie er auch Berge und Wälder erforscht.

Mein Plan war, die Stadt zu erkunden, als wäre sie der Wald hinter meinem Haus – eigentlich ein aussichtsloses Vorhaben, denn Freiheit, das waren für mch die Berge: das Wandern, die Tiere, das Klettern und die Hütten, während ich die Stadt gleichsetzte mit Zwang: Arbeit, Arztbesuche, Einkäufe und Vorlesungen.

Marco Granata, Die verborgene Tierwelt unserer Städte S. 90

Sein »innerer Biologe« übernimmt. Erst dann kann die Erkenntnisse wachsen, dass Großstädte kein toter Raum, sondern ein Lebensraum mit ganz eigenen Bedingungen sind. Und das hier die großen Probleme der Welt – Artensterben, Klimawandel, Umweltverschmutzung – besonders greifbar sind.

Die Porträts der einzelnen Arten fand ich manchmal zu ausführlich. Hier unterschätzt Marco Granata den Kenntnisstand seiner Leser*innen. Aber das mag auch daran liegen, dass dem Autor vielleicht selbst nicht so ganz klar war, was für ein Buch er schreiben möchte: einen Tierführer für die Stadt? Nature writing in einem Lebensraum der Extreme? Seine eigenen Reise von den Bergen in die Großstadt und was das mit ihm und seinem Naturerleben macht? Eine Analyse der Folgen des Klimawandels für die Biodiversität? Beobachten von evolutionären Veränderungen in Echtzeit? Eine Ermutigung, sich die Natur vor unserer Haustür genauer anzuschauen? Verbunden mit der Hoffnung, dass aus Menschen, die die urbane Wildnis erleben, Naturschützer werden?

Durch das Grün in der Stadt zu gehen ist nicht einfach nur ein Zeitvertreib, es kann uns dabei helfen, mit dem kleinen Stück Natur vor unserer Haustür in eine tiefe Verbindung zu treten … Zugleich wird es zu einem politischen Statement, das den Schutz dieser Natur Tag für Tag von Neuem einzufordern motiviert.

Marco Granata, Die verborgene Tierwelt unserer Städte S. 239

All das steckt in »Die verborgene Tierwelt unserer Städte«. Doch die Gewichtung der einzelnen Elemente konnte ich nicht immer nachvollziehen. Ich hätte mir gewünscht, dass der Autor mehr seiner eigenen Erzählstimme vertraut! Vielleicht dann beim nächsten Buch?


Bibliographische Angaben:

Marco Granata

Die verborgene Tierwelt unserer Städte
Wie ich die Wildnis verließ und mich in der Stadt wiederfand


Unter Mitarbeit von Peter Klöss (Übers.), A. Theodor Fasen (Übers.)

S. Hirzel Verlag


Noch ein Buchtipp aus dem Hirzel Verlag: Die Psycho-Trojaner. Wie Parasiten uns steuern

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