
»Die sind doch nur bei uns, weil ihr Opa mal einen Deutschen Schäferhund hatte«. Solche Sätze habe ich Ende der 80er Jahre mehr als einmal gehört. Es klang für mich wie eine schlüssige Antwort auf die Frage, woher auf einmal all die Deutschen mit dem seltsamen Akzent kamen. Was wusste ich schon von Flucht, Vertreibung, Kriegsleiden, staatlich gewollten Hungersnöten und Arbeitslagern? Was vom Staatsrecht, das Russlanddeutsche als Kriegsopfer anerkennt, weswegen die deutsche Staatsbürgerschaft ihr gutes Recht ist? Hätte ich das damals gewusst, ich hätte meine Mitschüler Gerda und Franz besser verstanden.
Die Geschichte vom Deutschen Schäferhund, der Russlanddeutschen die Einreise nach Deutschland ermöglicht, ist eines der Vorurteile, die Ira Peter in ihrem Buch »Deutsch genug? Warum wir endlich über Russlanddeutsche sprechen müssen« widerlegt. Die Gewaltbereitschaft junger Männer, die angebliche Putin-Treue und manch anderes Vorurteil folgt. Auch dass ich seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine zusammenzucke, wenn ich Russisch auf der Straße höre, greift sie mit einem sehr berührenden Statement auf:
»Mein Russisch gehört für immer meiner Kindheit, niemals Putins Russland.«
Ira Peter, Deutsch genug? S. 138
Doch das ist nur eine Seite des Buchs von Ira Peter. Jede politische und zeitgeschichtliche Analyse verknüpft sie mit der Geschichte ihrer Familie. Sie erzählt aus dem Leben ihrer Großeltern, Eltern, Geschwister und Freunde. Dieses Leben findet in meiner direkten Nachbarschaft statt und ist doch so weit von meinen eigenen Erfahrungen entfernt.
Ira Peter erzählt, wie wenig die Spätaussiedler damals über Deutschland wussten. Sie berichtet vom Ankommen im Lager, von den Schwierigkeiten der Wohnungssuche. Von Sprachproblemen, die Schulerfolge verhinderten. Davon, dass Männer mehr Deutschkurse besuchen konnten als die Frauen. Von nicht anerkannten Berufsabschlüssen, was zu Beschäftigung im Niedriglohnsektor führt und damit direkt in die Altersarmut. Andersherum erzählt: Sie berichtet, wie wenig die deutsche Gesellschaft auf die Aussiedler vorbereitet war – obwohl der Rechtsanspruch klar war. Wie viele Chancen dadurch verpasst wurden und welche Spätfolgen das hat und haben wird.
Ira Peters klagt nur selten an. Ihre Mission lautet Nähe und Verständnis. Das erreicht sie mit Humor und Herzlichkeit, mit Empathie und Fakten. Trotz des schweren Themas und trotz der schmerzhaften Erkenntnis, dass ich einige Vorurteile gepflegt hatte, ist »Deutsch genug?« ein Buch, mit dem ich mich wohl gefühlt habe. Es hat mich und meine Unwissenheit eingeladen, am Esstisch einer Familie Platz zu nehmen und zuzuhören. Dafür danke ich Ira Peter sehr!
Mehr Infos zum Buch:
Ira Peter
Deutsch genug?
Warum wir endlich über Russlanddeutsche sprechen müssen.
Goldmann Verlag
Entdeckt habe ich das Buch bei der Lesung von Ira Peter auf dem Musikfestival Maifeld Derby 2025. Ich kann ihre Veranstaltungen nur empfehlen! Hier findet ihr die Termine.