Zwischen Ministeriumsdefinition und Alpenmythos: Was ist echtes Wandern? Meine Verteidigung der gemütlichen Tour

Reclam 100 Seiten Wandern. Das Taschenbuch steckt in einem Wanderschuh, der auf einer Treppe steht.

Ist das jetzt ein Spaziergang oder eine Wanderung? Diese Frage wollte ich schon immer einmal beantwortet haben. Nicht weil es für meinen sportlichen Ehrgeiz wichtig wäre. Der ist sowieso nicht sonderlich ausgeprägt. Für mich zählen nicht der Gipfel, nicht die Höhenmeter und auch nicht die Länge der Strecke. Ich will einfach nur durch einen Wald laufen, dabei zur Ruhe kommen und tief durchatmen. Wenn ich dann noch Natur beobachten und einkehren kann, ist das für mich ein perfekter (Wander)Tag.

Der Unterschied zwischen Wandern und Spazierengehen interessiert mich aus einem ganz eigenen Grund. Wenn ich erwähne, dass ich am Wochenende wandern war, habe ich zu oft den Eindruck, dass sich mein Gegenüber etwas anderes, deutlich sportlichers darunter vorstellt. Ich bin weder mit einem vollgepackten Rucksack unterwegs, noch mache ich Mehrtagestouren. Und schon gar nicht würde ich mein Wandern als Sport bezeichnen – ich lasse es mir einfach bei Bewegung und frischer Luft im Wald gut gehen.

Der Reclam-Band „Wandern. 100 Seiten“ von Nina Ayerle bot mir nicht nur kurzweilige Unterhaltung, sondern sogar Antworten auf meine Frage.

Die Sportwissenschaft wiederum zieht bei ihrer Definition vom Wandern auch das Tempo heran: Sie verbindet mit Wandern eine Mindestgeschwindigkeit von etwa sechs Kilometern pro Stunde.

Nina Ayerle, Wandern – 100 Seiten. Seite 4

Demnach wandere ich nicht, denn das Tempo schaffe ich bergauf mangels Kondition nicht. Bergab auch nicht, da mich fehlende Trittsicherheit ausbremst. Doch siehe da, selbst ein Ministerium hat sich mit dem Unterschied zwischen Spaziergang und Wanderung beschäftigt:

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie … legt übrigens auch fest, wie sich das für eine deutsche Behörde gehört, wann genau überhaupt von einer Wanderung zu sprechen ist. Diese bedürfe nämlich einer entsprechenden Planung, Ausrüstung und Verpflegung, sei durch einen „zügigen Schritt“ definiert und habe eine durchschnittliche Dauer von zwei Stunden und 29 Minuten.

Nina Ayerle, Wandern – 100 Seiten. S. 55 Zitiert aus dem Forschungsbericht „Grundlagenuntersuchung Freizeit- und Urlaubsmarkt Wandern“

Zügiger Schritt ist eine Bezeichnung, mit der ich gut leben kann. Für meine Maßstäbe bin ich flott unterwegs! Planung und Ausrüstung passt ebenfalls. Auch ich gehöre zu den Menschen, die mehr Outdoor-Klamotten besitzen, als sie eigentlich draußen sind. Meine Verpflegung besteht aus einer Wasserflasche, einem Viba-Müsliriegel und der Hoffnung auf Einkehr in einer Hütte des Pfälzerwald-Vereins. Auch die Dauer der Tour passt – laut Ministerium bin ich also eine Wanderin.

Allerdings hatte ich schon den Eindruck, dass die Autorin von „Wandern. 100 Seiten“ so wie viele Bewohner*innen des Alpenrands meine Wanderungen nicht ernst nehmen würde. Für sie bedeutet wandern, dass man sich hocharbeitet bis zur Baumgrenze und darüber hinaus. Ein Gipfelkreuz und grandiose Fernblicke sollten auch dabei sein. Das alles bietet der Pfälzerwald eher nicht – dafür gibt es auf unseren Hütten Rieslingschorle im o,5 l Dubbeglas, zu einem Preis, zu dem es in den Alpen vielleicht eine kleine Cola gäbe.

Egal, ich verzeihe ihr das und denke nicht weiter darüber nach, ob das jetzt Unwissenheit oder Ignoranz im Anblick der Mittelgebirge ist. Denn ihr Buch macht einfach nur Spaß – und Lust auf die nächste Tour!

Reclam 100 Seiten: der ideale Snack für den Wissenshunger zwischendurch

Für Wissensbücher hatte ich schon immer ein Faible. Das begann mit dem Kinderlexikon, das ich komplett gelesen habe. Später gesellten sich zu den Lexika Buchreihen wie DuMont Schnellkurs, Taschen Evergreen, Prestel Logo und Beck Wissen. Doch 2025 macht mir die Reihe „Reclam 100 Seiten“ Bock auf mehr! Die Bücher sind eine feine Mischung aus Allgemeinbildung und Nerd-Wissen, locker erzählt. Die Themenvielfalt ist beeindruckend: aktuelle Politik, Biografien, Naturwissenschaft, Philosophie – und vor allem Popkultur! Asterix oder Hannah Arendt? Science Fiction oder Mücken? Klassismus oder Hip-Hop? Was soll ich nach „Wandern. 100 Seiten“ als Nächstes lesen?


Bibliographische Angaben:

Nina Ayerle
Wandern. 100 Seiten.

Reclam 100 Seiten


Wandern – darüber hatte ich es auf meinem Blog schon ein paar Mal. Aber diesen Beitrag möchte ich mit einem Hinweis auf die Spaziergangswissenschaft versehen!

2 Kommentare

  1. Puh, mit 6 Kilometern pro Stunde gehe ich nur noch selten, und wenn doch, dann fühlt sich das eher nicht nach meiner Vorstellung von Wandern, sondern nach Sport an.

    Persönlich hätte ich den Unterschied zwischen Wandern und Spazieren über die Entfernung definiert, wobei ich die Grenze so ungefähr bei 8 bis 10 Kilometern gezogen hätte.

    Ich bin auch im Mittelgebirge aufgewachsen, einem, wo die Orte meist auf der Höhe sind. Wandern hat da sehr oft bedeutet, dass man runter in die Täler geht. Dann habe ich mal sechs Jahre in München gelebt und musste da auch umlernen, weil für Münchnerinnen und Münchner Wandern eigentlich immer Synonym dafür war, dass man in die Voralpen oder Alpen fährt, um dort auf Berge zu kraxeln. Insofern ist das Wort einfach regional mit unterschiedlichen Vorstellungen verbunden.

    Jedenfalls vielen Dank für den Buchtipp!

    • Für mich selbst hätte ich bei der Frage „Ist das eine Wanderung oder ein Spaziergang?“ auch die Distanz als Maßstab genommen. Ab 7, 8 km ist es für mich eine Wanderung. Bis ich dann auf Menschen traf, für die eine Wanderung 15 km und mehr hat – für die war dann aber ein Spaziergang auch eher was sinnloses, was man höchstens aus familiären Gründen macht.
      Das Wandern ins Tal gehen bedeuten kann ist auch eine interessante Beobachtung – danke für deinen Kommentar!

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