Ja, so könnte es gewesen sein, genau so. Aber wäre ich schon vor meinem Abi in eine WG gezogen, dann hätte es dort mehr als nur ein Mixtape gegeben. Madness wäre sicherlich auch mit drauf gewesen, aber wahrscheinlich nicht mit ihrem Hit „Our house“. In meiner WG wäre es „Nightboat to Cairo“ gewesen.
Aber ich bin erst nach meiner Ausbildung in eine WG gezogen. Das ist eine ganz andere Geschichte als die, die Bov Bjerg erzählt.
Er erzählt von den zwei Jahren vor dem Abi. Dann, wenn es sich entscheidet, ob aus Zwangsbekanntschaften Freundschaften werden, die länger halten. Vielleicht sogar ein Leben lang.
Nur, weil man in einer Klasse ist, muss man sich nicht mögen. Es braucht noch mindestens eine zweite Gemeinsamkeit: Musikgeschmack, soziale Schicht, gemeinsames Außenseitertum.
Jahre später lässt sich das meist gar nicht mehr so genau nachvollziehen, wie es zur Freundschaft kam. Aber man kann sich genau daran erinnern, wie die Freundschaft wuchs, wichtiger wurde, sich mit Leben und Liebe füllte.
Auf einmal war man bereit, Verantwortung für den anderen zu übernehmen, für ihn einzustehen. Wenn man Pech hatte, hatte man sich einen Shit-Magnet dafür ausgekuckt. Wenn man Glück hatte, zog man diesen Magneten von der Scheiße weg.
So ergeht es den Kids im Auerhaus, der WG auf dem schwäbischen Dorf, die ursprünglich dazu beitragen sollte, einen suizid-gefährdeten Kumpel zu stabilisieren. Letzlich hat der Kumpel alle Mitbewohner stabilisiert und so die besten Jahre seines Lebens verbracht.
Wer am Ende des Buchs überlegt, warum Frieders Eltern so sind, wie sie sind, sollte sich an das verlassene Kinderzimmer im Auerhaus erinnern: der Raum ohne Fenster direkt neben der Schlachtküche kann nur das Kinderzimmer von Frieders Vater gewesen sein.
Wer Auerhaus liest, wird in sein eigenes Jahr vor dem Schulabschluss zurück katapultiert. So kommt es wohl, dass jeder den Roman ein wenig anders liest. Manche empfanden eine Leichtigkeit, manche suchten danach wieder nach dem Sinn des Lebens. Unberührt blieb wohl kaum einer Leser und Spaß hatten sie fast alle. Das ist zumindest mein Eindruck, wenn ich die höchst unterschiedlichen Rezensionen dazu lese.
Und ich? Ich liebe es. Vor allen Dingen die zwei Variationen eines möglichen Endes haben es mir angetan – wohlwissend, dass die zweite Variante die realistischere ist. Aber man wird ja wohl noch mal träumen dürfen, so wie man es damals vor dem Abi getan hat.
Angaben zum Buch:
Bov Bjerg
Auerhaus
Aufbau Taschenbuch
978-3-7466-3238-4
Rezensionen bei Aus.gelesen, bei den Booknerds und bei Kapri-zioes.
Bei mir bekommt Ihr nicht Madness mit „Our house“ zu hören, sondern den zweiten Song, der im Roman eine große Rolle spielt und der in fast keiner Rezension zitiert wird: Birth, school, work, death