In diesem Jahr leide ich definitiv an Vitamin-M-Mangel. Museen und Reisen kamen zu kurz. Aber immerhin habe ich das geschafft, was wir Wessis meiner Meinung nach immer noch viel zu selten tun: Ich war im Osten unterwegs.
Diesmal führte mich die Route von Leipzig aus über Land nach Zwickau. Gelockt hat mich die große Landesausstellung „Boom. 500 Jahre Industriekultur in Sachsen.“ Wer die Ausstellung verpasst hat: Der Katalog ist ein guter Ersatz! Er fasst das Wichtigste aus den einzelnen Ausstellungen in Zwickau, Chemnitz, Freiberg, Crimmitschau und Oelsnitz zusammen und bietet zusätzlich vertiefende Essays.
Wie immer bei Ausstellungskatalogen liest sich das mal besser, mal schlechter. Aber die gelegentliche Mühe lohnt sich, bietet das Buch doch eine Fülle von Herangehensweisen an das Thema Industrialisierung, Industrie- und Sozialgeschichte in Deutschland:
- Barock & Berggeschrey: die ersten Silberfunde und die Geschichte des Bergbaus in Sachsen
- Garn & Globalisierung: von der Handweberei zur Plauener Spitze. Maschinenbau und Textilindustrie als Motor der Industrialisierung in Sachsen.
- Karl Marx & Karl May: Hochindustrialisierung & soziale Konflikte. Sozialgeschichte.
- Schockensöhne und Sachsenstolz: Unternehmerpersönlichkeiten und die Entstehung des Massenkonsums
- Trabi & Treuhand: DDR-Industrie und Wendezeit
Das ist nicht das Ruhrgebiet: Industriekultur in Sachsen
Dem Wessi in mir klingelten manchmal die Ohren. Wie, es gab nennenswerte Industrie außerhalb des Ruhrgebiets? Ja, die gab es – und sie war sehr erfolgreich und vielseitig. So viele Jahre nach der Wiedervereinigung ist auch bei mir immer noch ein Umdenken nötig. Solche Museumsbesuche bieten eine gute Gelegenheit dafür.
Aber mein Highlight war nicht die große Zentralausstellung in Zwickau, sondern eine kleine Museumsperle: die Tuchfabrik Gebrüder Pfau in Crimmitschau. Eine kleines Museum mit engagierten Mitarbeiter:innen. Hier können die Besucher die komplette Geschichte der sächsischen Textilindustrie in einem Fabrikgebäude erleben. 1859 gründete Friedrich Pfau eine Handweberei. 1972 wurde aus der Fabrik VEB Modetuche. 1990 wurde die Produktion eingestellt. Da das komplette Ensemble gleich unter Denkmalschutz gestellt wurde, lassen sich tatsächlich alle Phasen noch nacherleben. Hier ein paar Eindrücke – und da wir in Sachsen sind, gab es natürlich auch etwas leckeres zu essen!
In ihrer Größe und in ihrer Vollständigkeit des historischen Gebäude- und Maschinenbestands ist die Pfausche Fabrik in Mitteleuropa einzigartig, da die Herstellung von Tuchen Schritt für Schritt, von der Anlieferung der Rohstoffe (Wolle, Zellwolle und Dederon), deren Mischung, bis hin zum fertig verpackten Stoffballen dokumentiert wird.
Wikipedia – Tuchfabrik Gebr. Pfau
Angaben zum Buch:
Boom. 500 Jahre Industriekultur in Sachsen.
Katalog zur Landesausstellung 2020.
Herausgegeben von Thomas Spring für das Deutsche Hygiene-Museum Dresden.
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Oder hier – Karl Marx als Held in einem Abenteuerroman für Kinder: