In einem Tempo, in dem ich sonst nur Fantasy-Romane lese, habe ich die Iggy Pop Biografie „Open up and bleed“ von Paul Trynka durchgelesen. Nicht, weil sie so gut geschrieben wäre – das ist sie leider nicht -, sondern weil Iggys Leben einfach zu spannend ist.
Zumindest in den ersten zwei Dritteln. Irgendwann kam ich an dem Punkt, an dem mich sein Lebensmuster hart arbeiten, eine geniale Idee haben, zielsicher Mist mit Drogen bauen, David Bowie kommt und sorgt für ein Wunder, scheitern langweilte.
In dieser Phase des Buches störte es mich dann besonders, dass der Autor Paul Trynka mehr damit beschäftigt war, chronologische Zeitabläufe zu schildern als Querverbindungen herzustellen und Zusammenhänge zu erläutern. Wer spielte wann in der Band, wer wurde aus welchen Gründen rausgeworfen, wann hat er sich wie auf der Bühne verletzt, welches Groupie erlangte mehr Bedeutung in seinem Leben und wann nahm er welche Drogen – das ist eigentlich genau das, was mich am Leben eines Musikers eher nicht interessiert.
Für die zentralen Fragen „Woher nimmt Iggy seine Energie und seine Präsenz?“ und „Wie wird aus Jim Osterberg Iggy Pop?“ findet Paul Trynka auch keine befriedigenden Antworten, trotz Gespräche mit Iggys Psychiater. Dieser ist sich heute auch nicht mehr so sicher, ob seine damalige Diagnose bipolare Störung stimmt.
1993 in Offenbach: Energie und Routine
Mein Bild von Iggy Pop wird vom ersten Konzert geprägt, dass ich erlebt habe – das Wort gesehen trifft es nicht. 1993, American Caesar Tour, Offenbach Stadthalle – hier die Setlist. Einerseits gutes Timing, denn American Caesar war wohl sein stärkstes Album aus den 90er Jahren. Doch die Stadthalle Offenbach ist mit ihrer funktionalen Spießigkeit nicht der passenden Rahmen für Iggys Bühnenshow.
Im Gedächtnis geblieben sind mir zudem agressive Ordner und sehr genaue Taschenkontrolle. Damals wusste ich noch nicht, dass es sozusagen zur Punk-Tradition gehörte, auf Iggys Publikumsbeschimpfungen mit Wurfgeschossen zu reagieren.
Die Atmosphäre in der Halle hatte ich vergessen, sobald Iggy auf der Bühne war. So etwas kannte ich noch nicht. Hochkonzentriert, energiegeladen, athletisch, beweglich, sexy, unermüdlich und immer überraschend – zumindest für mich, die ich ihn noch nie vorher gesehen hatte. Sein erstes Iggy Pop Konzert vergisst man wohl nie.
Durch all die Energie schienen an jenem Abend aber auch Routine und eine enorme Professionalität durch. Manche der bewährten Beschimpfungen funktionierten in Deutschland einfach nicht – hier darf man fuck sagen, das ist keine Provokation.
Ach ja, Musik gab es auch. Seit diesem Tag liebe ich seine Songs und sage, dass man Iggy einmal live gesehen haben muss, um seine Platten zu verstehen.
Aktueller Status: immer noch ein Phänomen
Ich vermute, dass Paul Trynka seine Iggy-Pop-Biografie „Open up and bleed“ geschrieben hat, weil er ein ähnliches Erlebnis hatte. Doch mit den Mitteln einer Tagebuch-artigen Biografie kann man sich zwar den Fakten, aber nicht dem Phänomen Iggy Pop nähern.
Jim Jarmusch geht in seinem Film über Iggy und die Stooges „Gimme danger“ einen anderen Weg. Er lässt viele Fakten aus und zeigt sehr deutlich, dass er Fan und damit nicht objektiv ist.
So bleibt bei mir das Gefühl, dass Iggy Pop einfach unverwüstlich ist. Weder eine detaillierte Biographie noch ein Film können seine energiegeladene Präsenz erklären.
Bleibt mir als Schlusswort der Satz eines Bekannten: Sollte Iggy jemals eine Fitness-DVD herausbringen – ich kaufe sie sofort.
Angaben zum Buch:
Paul Trynka
Iggy Pop
Open up and bleed
Heyne Hardcore
ISBN 978-3-453-67566-7
- Filmkritik zu Gimme danger im Spex
- sehr gegensätzliche Buchrezensionen bei Metalglory und Ox Fanzine.
Mehr über mich und die Musik, die ich mag, in meinen Jahresrückblicken 2015 und 2016.
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