Mein Recht auf Stadt: Platz nehmen gegen eine Architektur der Verachtung

Buch zum Thema Recht auf Stadt: Mickaël Labbé
Platz nehmen
Gegen eine Architektur der Verachtung

Dass mich dieses Buch überfordern wird, hatte ich eingeplant. Architektur, Stadtplanung und Soziologie sind Fachrichtungen. Ich bin nicht vom Fach.

Aber ich lebe in einer Stadt und ich frage mich schon länger, warum ich manche Viertel als lebendig und lebenswert erfahre – und andere nicht. Das ich mir damit schon Gedanken über „Mein Recht auf Stadt“ mache, wusste ich nicht.

Beim Lesen galt es, zwischen all der Fachsprache und den flammenden Plädoyers gegen Konzepte, die ich nicht kannte, Anknüpfungspunkte an meine Erfahrungen zu finden.

Warum empfinde ich die Reißbrettsiedlung Mannheim-Vogelstang als eher lebenswerten Vorort, den nach ähnlichen Prinzipien gestalteten Emmertsgrund bei Heidelberg (siehe Foto) nicht? Weshalb erscheint mir die Bebauung mit hochpreisigen Wohnungen direkt am Wasser in den Stadtteilen Jungbusch und Luzenberg wie ein Faustschlag gegen die ursprünglichen Bewohner? Wie ein „Die schönsten Plätze gehören uns, ihr kommt hier nicht rein?“

Nach der Lektüre von Mickaël Labbés „Platz nehmen. Gegen eine Architektur der Verachtung“ weiß ich, dass ich mit meinem Empfinden richtig liege. Er spricht sie vehement gegen eine Stadtentwicklung aus, die sich nur um die Themen Wohnen, Arbeiten, Konsumieren und Verkehr dreht. In dieser Art zu denken fehlt ihm das Entscheidende: der Mensch. Das Wir. Unser Recht auf Stadt.

Anhand vieler Beispiele geht er der Frage nach, was Stadtplanung und Architektur mit uns machen, wenn sie sich an den Leitsternen Wohnen, Shoppen und Rendite ausrichten. Die Beispiele sind gut gewählt, denn sie sind alltagsnah. Fehlende oder unbequeme Bänke, was sich sowohl gegen Obdachlose als auch gegen mobilitätseingeschränkte Menschen richtet. Stammkneipen, die durch teure Cafés ersetzt werden. Plätze, die so ungemütlich sind, dass man kein Schwätzchen mit den Nachbarn halten möchte. Touristisch wertvolle Altstädte, in denen es nichts mehr gibt, was Einheimische brauchen. Eben Städte, die als Ressource für mehr Rendite betrachtet werden – und nicht als Ort des Miteinanders. Effektive Wohnmaschinen, damit wir mehr Zeit für Arbeit und Shopping haben. Kontakt zu Mitmenschen muss nicht sein. Konsumfreie Freizeitgestaltung ist nicht vorgesehen. Selbstgewählte Wege durch den Ort auch nicht.

Dabei ist eine Stadt so viel mehr als nur ein Ort zum Wohnen und Konsumieren!

Denn im Grunde ist die Stadt ein feines Geflecht aus Tagesabläufen, Rhythmen und Erfahrungen, die manchmal so unvereinbar sind, dass ihr Nebeneinander beinahe wie ein Wunder erscheint.

Mickaël Labbé „Platz nehmen. Gegen eine Architektur der Verachtung – S. 160

Recht auf Stadt ist ein Thema, was uns alle angeht. Grade deswegen hätte ich mich über ein paar Fachbegriffe weniger sehr gefreut. Trotzdem hat mir das Buch „Platz nehmen. Gegen eine Architektur der Verachtung“ viel gegeben. Es hat meinen Blick geschärft und mein Bauchgefühl bestätigt. Wenn so wie auf dem Luzenberg und im Jungbusch in Mannheim der schmale Streifen zwischen gewachsenem Stadtviertel und dem Hafenbecken mit teuren Wohnungen bebaut wird, dann sendet das ein Signal. Und dieses Signal lautet nicht: Wir machen euren Stadtteil fit für die Zukunft. Es lautet: Ihr seid nicht wichtig und deswegen nehmen wir euch jetzt einfach den Blick aufs Wasser weg. Architektur spricht – und wir alle hören ihr ganz unbewusst zu!

Erste Reihe fußfrei für die Gentrifizierung im Jungbusch. Der Speicher wurde zu Wohnungen umgebaut. Die Baulücke soll noch geschlossen werden. Dahinter der gewachsene Stadtteil.

Infos zum Buch:

Mickaël Labbé
Platz nehmen
Gegen eine Architektur der Verachtung

Aus dem Französischen von Felix Kurz

Nautilus Flugschrift


Was ich bei dieser Lektüre besser verstanden habe ist, was für ein wichtiges Signal die Murals von Stadt Wand Kunst in Mannheim sind. Wertschätzung für die Bewohner eines Stadtteils! Um so mehr freue ich mich, dass mein Vorort sein erstes Mural bekommen hat:

Ein Fest. Mural von Sourati in Mannheim-Rheinau.
Mehr zu den Murals hier auf meinem Blog

Ein Kommentar

  1. Danke für diesen Tipp – das Thema interessiert mich sehr!

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