
Ich mag keine Audioguides für Kunstausstellungen. Ich möchte keine Stimme im Ohr haben, die mir sagt, in welcher Reihenfolge ich mir die Bilder ansehen und wohin ich schauen soll. Ich möchte nicht aufgefordert werden, weiterzugehen, wenn ich gerade die Oberflächenstruktur einer Skulptur bewundere. Ich möchte meinen Blick schweifen lassen, Museumsbesucher beobachten können und zum drittletzten Gemälde zurückgehen, weil mir gerade etwas dazu eingefallen ist.
Wenn ich dann doch mal einen Audioguide im Museum verwendet habe, komme ich mit mehr Wissenshäppchen aus der Ausstellung. Ich habe zwar Neues gelernt, aber auch schnell wieder vergessen. Was noch schwerer wiegt: Mein Hamstervorrat an glücklich machenden Kunstmomenten wurde kaum aufgefüllt. Die didaktische Struktur des Guides raubt mir den Freiraum, den ich brauche, um mich von den Kunstwerken berühren zu lassen.
Angeli Janhsen würde das verstehen. Nach der Logik ihres Buchs »Kunst selbst sehen. Ein Fragenbuch« geben Audioguides Antworten, bevor ich überhaupt die Chance hatte, die für mich richtigen Fragestellungen zu finden. Das umfasst meine Fragen an die Kunstwerke genauso wie die, die die Kunst an mich stellt.
Gute Fragen sind kostbar. Sie verhindern Herangehensweisen, die zu Blockaden führen. Zielstrebig in eine Sackgasse führt zum Beispiel die Diskussion, ob etwas Kunst sei. Oder der Versuch, ein Kunstwerk in der Kunstgeschichte zu verorten, bevor man es sich überhaupt richtig angeschaut hat. Viel interessanter ist da die Frage »Wie würde dieses Werk außerhalb des Museums wirken?«.
Aber das geht auch philosophischer:
Ist Kunst eine Frage an sie?
Stellt Kunst sie in Frage?
Fragen sie nach Kunst?
Klingt komplex? Keine Sorge, solche Themen werden erst am Ende des Buches besprochen. Die Autorin nimmt uns auf dem Weg dorthin an die Hand. Der Einstieg ist deutlich handfester und wirklich für alle Museumsbesucher*innen anwendbar.
Sehen sie hier etwas Besonderes?
Könnte das, was sie sehen, auch anders sein?
Wie anders?
Was sehen sie hier nicht?
Was hatten sie erwartet?
Solche guten Fragen wirken wie ein Rüstzeug. Sie sorgen dafür, dass man nicht alleine vor einem Kunstwerk steht, und nehmen die Angst, nicht richtig zu agieren. Gleichzeitig eröffnen sie Denkräume. Denn so lange die Antwort nicht bekannt ist, ist alles möglich! Aber sie helfen auch, sich selbst zu positionieren, sich in Beziehung zu setzen. So ermöglichen sie, dass aus dem Zusammenspiel mit den Betrachtenden etwas Neues, ganz Persönliches entsteht.
»Kunst selbst sehen« liefert nicht nur solche guten Fragestellungen, es vermittelt auch die Methodik, eigene zu entwickeln. Ich weiß jetzt schon, dass ich dieses Buch häufig zur Hand nehmen werde!
Infos zum Buch:
Angeli Janhsen
Kunst selbst sehen
Ein Fragenbuch
Das Beitragsbild habe ich meiner Kunstkomplizin zu verdanken: ich in der Hocke vor einer Skulptur in der Kunsthalle Mannheim (Messinstrument für Zeitlosigkeit von Klaus Rinke). Wer mit so einer Kunstkomplizin unterwegs ist, braucht eh keinen Audioguide. Das würde den Museumsspaß nur schmälern!
