Eigentlich befinde ich mich seit ein paar Jahren in einer Roman-lese-Flaute, die mich allerdings nicht sonderlich stört. Meine Neugier treibt mich zu Sachbüchern und wenn ich mal Lust auf eine gute Geschichte habe, greife ich zum Kinderbuch.
„Die letzte Nacht des Matze Blitz“ hat sich ganz hinterhältig auf der Regional-Schiene angeschlichen und bevor meine innere Bücherhüter-Stimme „nur Sachbücher“ aussprechen konnte, hatte ich schon ja zu diesem Buch gesagt.
Zum Glück – mir wäre sonst viel Spaß entgangen!
Matze wächst in den 90er Jahren in Schwetzingen auf. Schwetzingen schätze ich aus zwei Gründen sehr: für den Schlossgarten und für seine schönen Biergärten, die sich für mich in nicht-sportlicher Fahrradnähe befinden. Aber ich bin mit Matze völlig einer Meinung: aufwachsen möchte ich dort nicht. Schwetzingen ist für Jugendliche nicht das passende Biotop. Zu viel Barock, zu viel Idylle und die nächsten echten Städte gerade eben ein Stück zu weit weg.
Der Zug wurde mit quietschenden Bremsen langsamer und hielt schnaufend an einem der Gleise des Mannheimer Hauptbahnhofes. Wir hatten unser Ziel erreicht: Die Stadt. Und mit ihr all das, was Schwetzingen nicht war.
S.215
Schwetzingen bietet Matze und seinen Freunden keine Heimat. Das wiegt doppelt schwer, da es ihnen auch sonst an einem Bezugspunkt mangelt. Matze und seine Freunde, das sind ein Pole, ein Russe, ein Teilzeit-Neonazi, ein Türke und ein Halb-Thai. Schon allein aus diesem Grund ist „Die letze Nacht des Matze Blitz“ kein Heimatroman und braucht die klare Verwurzelung der Geschichte in Schwetzingen um so mehr.
Matze und seine Freunde sind zudem auch schwer pubertierende Hauptschüler, die außer Unsinn vor allen Dingen Scheiß und Mädchen im Kopf haben. Das sorgt nicht nur bei der gesprengten Unterrichtseinheit über das Paarungsverhalten der Stockenten für jede Menge Gelächter, das gibt der Geschichte insgesamt einen erfrischenden Schwung und ermöglicht einen aberwitzigen Showdown.
Den biographischen Hintergrund seiner Helden enthüllt der Autor Aleks Wiercinski sehr geschickt erst so nach und nach. Genauso wenig wie „Die letzte Nacht des Matze Blitz“ ein Regional-Roman ist, genauso wenig ist das Buch ein Thriller mit Migrationshintergund. Vor allen Dingen ist „Die letzte Nacht des Matze Blitz“ die Geschichte von Außenseitern, die erst durch die Idylle Schwetzingens zu Freunden gemacht wurden und die sich nun dem Abenteuer namens „Erwachsenwerden“ stellen müssen.
Die letzte gemeinsame Silvesternacht der Jungs enthält so gut wie alles, was zum Erwachsenwerden dazugehört: zuviel Alkohol und Schlägereien, hilfreiche und weniger hilfreiche Freunde, Vaterfiguren und stolze Mütter, zwielichtige Bars und sexuelle Irritationen. Bei so viel Verwirrungen, Missverständnissen und Dingen, die besser nicht ausgesprochen worden wären, hilft es wieder ungemein, dass auch der Showdown klar in der Borelli-Grotte verortet ist. So gibt wenigstens der Ort Halt in turbulenten Zeiten.
Neben jeder Menge Lesespaß verdanke ich dem Buch noch etwas: eine Erwähnung meines Vorortes in einem Roman. Ich bezweifel, dass es so etwas schon mal gab – und hoffe trotzdem darauf, dass mich jemand eines Besseren belehrt.
Rheinau sah aus dem Zugfenster aus, als hätte jemand einen Teil Schwetzingens nach Mannheim verfrachtet. Keinen der schönen Teile wohlbemerkt. Eine Melange aus Beige und hellem Braun huschte am Fenster vorbei, als wollte ein Maler mit lustlosen Strichen ein Bild vom Durchschnitt malen.
S. 214
Infos zum Buch:
Aleks Wiercinski
Die letzte Nacht des Matze Blitz
Sammlung Zauberberg
Zauberberg Verlag
ISBN 978-3-945662-02-1