Horizonterweiterung. Meine Sachbücher suche ich schon lange danach aus, was sie Neues in mein Leben bringen können. Meine Romane hingegen schon länger nicht mehr. Sie sind eher Fluchtlektüre.
Ein Science Fiction mit einem wunderschönen Cover, einer starken Heldin und afrikanischem Hintergrund klang wie eine perfekte Fluchtlektüre. Es kam anders.
Bereits nach wenigen Seiten ist klar: Diese Protagonisten verhalten sich nicht so, wie ich es gewohnt bin. Wir befinden uns in Lagos, Nigeria. Das Leben hier funktioniert anders als alles, was ich kenne. Die Tatsache, dass Aliens im Meer vor der Stadt gelandet sind und bleiben möchten, macht es nicht einfacher. Seite für Seite bekomme ich ein Gefühl dafür, wie sich Eurozentrismus für Nicht-Europäer anfühlen muss: diese Erzählung gehorcht Regeln, mit denen ich nicht aufgewachsen bin.
Der Rhythmus der Story ist ein anderer. Ungewohnt. Den Begriff exotisch verbiete ich mir bei einem Roman, in dem die Aliens normaler wirken als wir Menschen. Um Chaos und Gewalt zu verbreiten brauchen wir keine Invasoren von fremden Planeten. Die Aliens sind entsetzt, über das, was in Menschen stecken kann. Aber sie möchten bleiben, Heimat finden.
Doch ein Land besteht aus mehr als Menschen. Das Meer und seine Bewohner wittern eine Chance, sich gegen Umweltverschmutzung zu wehren. Ihre Herangehensweise ist gründlich. Ab jetzt wird ihnen kein Mensch mehr zu nahe treten.
Alte Götter werden wach und wittern ihre Chance. Manche denken in Blutopfern, manche freuen sich, Schicksalsfäden neu zu verknüpfen.
Veränderung. Eine Chance, eine Bürde.
Zwischendrin wäre ich beinahe ausgestiegen, wie immer, wenn sich ein Roman analog zu einem Actionfilm entwickelt. Zu viel Gewalt, zu viele Tote. Ich bin da empfindlich. Doch es gibt in diesem Buch keine einzige Gewalttat, die dann nicht doch noch in einen großen Zusammenhang eingebunden wird. Was auch immer geschieht, es führt eine Veränderung herbei. Wer die Veränderung nicht will, der will auch nicht das Leben. Sagte schon Georg Danzer in »Die Ruhe vor dem Sturm«. Den Aliens würde diese Haltung gefallen, die Menschen in Nigeria müssen sich in diesem Science Fiction erst an die Idee gewöhnen.
Ein Roman wie dieser kann nicht linear erzählt werden. Das machte es für mich nicht einfach. Ich musste mich darauf einlassen und ich tat es gerne. Jetzt genieße ich die Verwirrung, in der mich die Lektüre zurückließ. Und ja, es ist ein Genuss!
Vielleicht hilft Euch diese Rezension weiter. Ebenfalls lesenswert ist die Entstehungsgeschichte zum Cover.
Infos zum Buch:
Nnedi Okorafor
Lagune
Übersetzt von Claudia Kern
Cross Cult
Pingback:Frau Müller, die Migrantin - GeschichtenAgentin