Vor allen Dingen bin ich froh, dass meine Oma nicht mehr mitbekommt, dass ich das Buch „Mein Kampf gegen rechts“ lese; dass wir jetzt in einer Zeit leben, in der ich es für nötig halte, ein solches Buch zu lesen.
Genau wie das Ergebnis der Landtagswahl 2016, bei der die AfD ein Direktmandat im Mannheimer Norden holte, hätte sie meine Lektüre mit einem energischen Kopfschütteln kommentiert und sich gefragt, ob die Menschen wirklich so dumm sind, dass sich Geschichte wiederholen könnte.
Manche der Aktivisten, die in dem Buch „Mein Kampf gegen rechts“ vorgestellt werden, fragen sich das auch. Andere denken sich nur „Das kann man so nicht lassen“ und wieder andere sind einfach in diese Diskussionen, Grabenkämpfe und Unaushaltbarkeiten hineingeraten.
Allen gemeinsam ist, dass sie sich Gedanken machen, Stellung beziehen, sich sichtbar machen und aktiv werden: Schulklassen nach Polen in die KZs begleiten, mit Jugendlichen diskutieren, die mit den Neonazis liebäugeln, Gegendemos organisieren, Flüchtlingen helfen oder rechtsradikale Aufkleber und Schmierereien entfernen. Es gibt viel zu tun; jeder macht das, was er kann. Einfach so, weil er oder sie es für nötig hält.
Hätte ich nicht einfach irgendwann aufgehört, mir Sätze anzustreichen, wäre es ein Buch mit sehr, sehr vielen Markierungen geworden. Bemerkenswerte Aussagen, die lange nachwirken, gibt es viele in diesem Interview-Band. Die Aussagen wirken, weil sie direkt, ungeschliffen und unintellektuell daher kommen und weil sie die persönliche Betroffenheit in einer größeren Kontext stellen.
So wie der Journalist Hernán D. Caro, der von den vielen kleinen und etwas größeren Ausgrenzungen erzählt, die er als Kolumbianer mit leicht dunklerer Haut erlebt:
Alle, die sich je aufgrund ihres Aussehens, ihrer Herkunft, ihres Glaubens, ihrer Sexualität oder irgendwelcher anderer kultureller Eigenschaften reduziert gefühlt haben, wissen, von welcher Erfahrung ich spreche. Nicht nur Ausländer werden als „fremd“ wahrgenommen.
S. 27 – Mein Kampf gegen rechts
Gerade er kann wunderbar berichten, was für Auswirkungen diese Ausgrenzung hat:
Die Gefahr und die destruktive Kraft der Ausgrenzung, sei diese verhalten oder gewalttätig, ist groß: Derjenige, der zum Fremden erklärt wird, definiert sich womöglich selbst früher oder später genauso. Er zieht sich freiwillig in eine Parallelwelt zurück.
S. 31
Wenn das passiert, scheitert die weltoffene, tolerante Gesellschaft, in der ich leben möchte.
Doch warum dieser martialische Titel „Mein Kampf gegen rechts“? Das fasst Sascha Lobo in seinem Vorwort sehr treffend zusammen:
… Mein Kampf (ist) eine alte Erzählung, die nie wieder aufleben darf. Diese Erzählung muss deshalb immer wieder gebrochen werden, sie muss gebrochen bleiben. Das lässt sich auch mit dem Versuch bewerkstelligen, dem ursprünglichen Autor die Deutungshoheit über den Titel streitig zu machen: mit einer neuen Erzählung.
S. 18
„Mein Kampf gegen rechts“ ist jedoch mehr als nur ein Versuch. Es ist eine sehr gelungene, überzeugende Zusammenstellung von Interviews, die Menschen sichtbar macht, die aktiv geworden sind. Ein Buch, dass sich durchaus als Schullektüre eignet und ein Buch, das mir persönlich die Hoffnung zurück gibt, dass jede kleine Handlung hilft, und dass wir verhindern können, dass sich Geschichte wiederholt.
Denn sollte ich meine Oma eines Tages wiedersehen, möchte ich ihr sagen können: Diesmal haben wir es verhindert, denn die Menschen haben doch aus der Geschichte gelernt.
Herausgeber: Gesicht zeigen!
Für ein weltoffenes Deutschland e.V.
Mein Kampf gegen rechts
Europa Verlag
ISBN 978-3-95890-027-1
Zwei weitere Blog-Beiträge von mir, die für Dich interessant sein könnten:
Muslim Girls – Was ein Kopftuch bedeuten kann, aber nicht muss
Pingback:Esther Bejarano: Nie schweigen. Ihr letztes Interview als Buch.