Als ich mit der Graphic Novel „Nick Cave – Mercy on me“ von Reinhard Kleist auf der Couch lag gingen mir drei Gedanken durch den Kopf:
Eine Graphic Novel liest sich also auch nicht schneller als ein Buch.
Verdammt, ich habe kein Vokabular um angemessen über die Illustrationen zu schreiben.
Wie um Himmels Willen konnte ich Anita Lane bisher übersehen?
Verdammnis, der Himmel und die Frage nach der Zeit – daraus könnte Nick Cave gleich einen richtig guten Song machen.
Ich gehe es ein paar Nummern kleiner an und versuche mich an einer ordentlichen Rezension im Stil der GeschichtenAgentin: was habe ich mit der Graphic Novel erlebt?
Tote Frauen und Pathos
Nick Cave ist für mich ein großer Künstler und ein Phänomen. Ich ergänze dazu ganz sexistisch: ein gut aussehender Mann (vor allen Dinger später, als er etwas mehr auf den Rippen hat), stilbewusst bis eitel, mit einer wunderbaren Stimme. Den sexistischen Blick auf Nick Cave halte ich für durchaus angemessen, denn in seinen Liedern sind Frauen entweder Mütter, Huren oder tot – gerne auch eine Kombination von allem. An eye for an eye, a tooth for a tooth, anyway I told the truth … aber ich bin ja gar nicht so. Doch das Universum des Nick Cave lockt mich nicht sonderlich. Fan war ich also nie.
Wer wie ich Ende der 80er Jahre auf einem deutschen Gymnasium war, der kann wahrscheinlich heute immer noch den Song „Mercy Seat“ mit-sprechsingen. Es gab keinen Weg vorbei an diesem Monster von einem Song. Dummerweise verbinde ich damit das Bild blasser Jünglinge, die mit aller Inbrunst, die ihre schmalen Oberkörper zuließen, jede Zeile mitgröhlten – so, als könnten sie nachvollziehen, wie ein Verurteilter sich auf dem elektrischen Stuhl fühlen würde.
Diese beiden Punkte – Frauenrollen und Pathos – sorgen bei mir für eine gewisse Distanz. Interessant, dass ich viel davon in der Graphic Novel wieder gefunden haben. Reinhard Kleist hat ein Heldenlied gezeichnet, aber er verzichtet nicht auf Brüche, Ecke und Kanten und gib so dem Künstler Nick Cave eine stimmige Tiefe.
Deswegen brauchte ich auch deutlich mehr Lesezeit – oder besser: Betrachtungszeit – als ich erst dachte. Die Brüche, Ecken und Kanten gilt es zu entdecken und zu erkunden. Das erste Drittel des Buches ist eher biographisch gehalten. Hier sind es die Querverweise und Hintergrundinfos, die es zu finden und entschlüsseln gilt. Diese Figur ist eindeutig Siouxsie, das muss Lydia Lunch sein, dieser Mode-Stil, jener Club und was läuft da im Hintergrund im Radio?
Im weiteren Verlauf vermischen sich biographische Fakten mit der Welt, über die Nick Cave in seinen Songs schreibt. Seine Figuren klagen ihn an: mein (Schöpfer)Gott, warum hast Du uns das angetan? Berechtigte Frage, finde ich.
Warum schreibt Nick Cave gerade diese Texte? Ist es der Kampf mit den eigenen Dämonen? Oder nur die pure Lust an der eigenen Wortmacht? Ich freue mich, dass diese Fragen gestellt und nicht beantwortet werden. So sorgt Reinhard Kleist dafür, dass sich jeder auf seine Art seiner Graphic Novel nähern kann – auch ein faszinierter Nicht-Fan wie ich.
Bleibt mein Problem, dass ich nicht angemessen über die Illustrationen erzählen kann. Sie sind passend und gigantisch. Genügt das? Ich finde nicht. Der Kölner Stadtanzeiger schlägt sich da deutlich besser: höchste Intensität und tiefstes Schwarz.
Alles andere als eine tote Frau: Anita Lane
Lesen bildet. In diesem Fall meinen Musikgeschmack: zum Entsetzen meiner Freundin Andrea habe ich Anita Lane wirklich erst in der Graphic Novel „Nick Cave – Mercy on me“ entdeckt. Das hat die Musikerin nicht verdient! Zum Ausgleich läuft sie jetzt bei mir rauf und runter.
Infos zur Graphic Novel:
Reinhard Kleist
Nick Cave – Mercy on me
ISBN 978-3-551-76466-9
Mehr Infos auf der Webseite zum Comic
RRRSoundz, der Musik-Kurator vulgo DJ meines Vertrauens, empfahl mir diesen Song von Birthday Party: Mr. Clarinet. Recht hatte er natürlich.
Noch ist die Nick Cave GN nicht bei uns eingezogen, aber das wird bald nachgeholt. Im November geht es zur Veranstaltung mit Reinhard Kleist und ich hoffe dann auch auf einen hübschen Sketch im Comic 😀 Zwar ist das (limitierte) Artbook schon im Haus, das wiederum mag mein Mann nicht öffnen. So kann ich nur abwarten bis November, bis ich mir selbst ein Bild von den Zeichnungen machen kann. Vielleicht schaue ich auch schon in Frankfurt rein … Ganz bestimmt sogar 😀
Lieben Dank für deine neugierig machende Vorstellung!
LG,
Sandra
Das muss aber wahre Liebe sein, dass Du ihm durchgehen lässt, dass er das Artbook nicht öffnet!
Das auch. Allerdings ist es auch sein Artbook 😀
Berechtigter Einwand 🙂 Aber ich weiß nicht, ob ich den Einwand in Anblick eines noch nicht geöffneten Buches gelten lassen könnte!
Hahaha 😀 Sag das einem Plattensammler, der ein streng limitiertes Buch gekauft hat. Klappt nicht.