“Wandernde Pflanzen – Neophyten, die stillen Eroberer” von Wolf-Dieter Storl hat mich gleich auf den ersten Seiten fasziniert. Neophyten, das sind, vereinfacht gesagt, Pflanzen, die eigentlich nicht hier her gehören. So wie der Riesenbärenklau, die kanadsiche Goldrute und das indische Springkraut.
Als agressiv und gemeingefährlich gelten sie. Mindestens unter Beobachtung stellen muss man diese Pflanzen, noch besser bekämpfen und ausrotten. Oder?
Wolf Dieter Storl, Weltreisender und Ethnobotaniker, lässt sein Buch in Südafrika beginnen. Mit zwei sehr sympathischen Biologen erkundet er die Umgebung der Hauptstadt. Dort findet er lauter alte Bekannte aus allen Teilen der Welt, auch aus Europa: den Portulak, die Akazie, das Wandelröschen, die Seekiefer …
Mit Erstaunen hört er die Biologen voller Enthusiasmus und mit Herzblut davon reden, dass all das ausgerottet werden müsse. Weil es nicht nach Südafrika gehöre. Weil es agressiv sei. Weil es die einheimischen Pflanzen verdrängen würde.
Zugegeben: ein Buch so beginnen zu lassen hat etwas von einem erzählerischen Taschenspieler-Trick. Macht nichts. Storl ist ein begnadeter Erzähler, der sein Handwerk versteht. Und ich lasse mich immer wieder gerne von ihm begeistern.
Wolf-Dieter Storl denkt in größeren Zusammenhängen. Er erzählt von Pflanzen, die vor der Eiszeit bei uns einheimisch waren, den Klimawandel nicht überlebt haben und jetzt als Zierpflanze wieder zu uns kommen. Andere Pflanzen wie der Apfelbaum kamen erst mit den Römern zu uns. Auch die Walnuß war zuerst nicht bei uns heimisch.
Warum auch sollte eine Pflanzen hinter der Gartenmauer bleiben?
Ein großer Einwanderungsschub begann in den Klostergärten des Mittelalters. Viele der dort angepflanzten Kräuter blieben nicht lange hinter den Klostermauern, sondern wilderten sich selbst aus. Das Schöllkraut ist ein Beispiel dafür.
Der botanische Garten Kew Gardens in London war ein weiterer Ausgangspunkt für eine ganz große Eroberungswelle. Pflanzen, die sich dort unter geschützten Bedingungen eingelebt hatten, verbreiteten sich über ganz England. So kommt es, das England die größte Zahl an Neophyten in Europa aufweist. Das Franzosenkraut und das drüsige Springkraut verbreiteten sich von dort weiter aufs Festland.
In einer Mauer in einer dunklen Ecke meines Gartens wächst das Mauerzimbelkraut und blüht wunderschön. Auch diese Pflanze ist ein Neophyt. Im laufe der Jahre hat sich das Mauerzimbelkraut in so ziemlich jede Kübelpflanzen ausgewildert. So machen das die Pflanzen nun mal – sie wandern und erobern sich neue Lebensräume.
Der typische Zyklus lautet Einfuhr -> Etablierung und Anpassung -> Invasion -> Sättigung und biologische Einbindung. In der letzten Phase ist der Neophyt kein agressiver Neophyt mehr – er tritt in normaler Häufigkeit auf, weil sich Fraß-Feinde und Krankheiten gefunden haben, die ihn im Schach halten.
Daher empfiehlt Storl, den Neophyten mit Gelassenheit zu begegnen – und in der Zwischenzeit sich einfach an den schönen Pflanzen zu erfreuen und ihr Heilpotential zu erkunden. Wie man das Heilpotential einer Pflanze ohne Laborversuche erkunden kann, darüber erzählt Wolf-Dieter Storl in seinen anderen Büchern.
Wolf-Dieter Storl
Frank Brunke
Neophyten, die stillen Eroberer – Ethnobotanik, Heilkunde und Anwendungen
AT Verlag
ISBN 978-3-03800-680-0
Diese Rezension von mir erschien zuerst im Hugendubel-Blog, der leider eingestellt wurde. Hier findet ihr meine Rezensionen zum Thema Garten und Natur auf diesem Blog.