Was braucht eine Idee, um richtig groß zu werden? Einen Visionär. Jemanden, der an seine Vision glaubt, und Menschen, die die Arbeit machen. Das war Walter Gropius sicherlich bewusst, als er Ise Frank mit den Worten „Ise, ich brauche Sie!“ einen Heiratsantrag machte. Ehen, die auf gebraucht werden basieren, sind selten glücklich. So enthält dieser Anfang eigentlich schon die ganze Geschichte.
Oder auch nicht. Denn auch wenn das Buch Jeder nennt mich hier Frau Bauhaus mit dem Kennenlernen von Walter Gropius und Ise Frank beginnt, so versucht Jana Revedin doch, uns den ganzen Menschen Ise Frank nahe zu bringen. Dabei verweilt die Autorin jedoch in einer schwebenden Distanz zu ihrer Hauptfigur. Identifizieren fällt schwer. Verstehen gelingt, wenn auch die inneren Beweggründe für Ises Entscheidungen nicht immer klar nachvollzogen werden können. Doch genau das habe ich auch als Ehrlichkeit empfunden: Wer weiß denn schon wirklich, welchem Plan er in seinem Leben gefolgt ist?
Leben in und mit dem Bauhaus
Der biographische Roman legt seinen Schwerpunkt auf die Zeit zwischen 1923 und 1928, dem Jahr, in dem Gropius die Leitung des Bauhauses aufgab. Alles, was vorher war, wird in Rückblenden und Innensichten erzählt. Alles, was nachher kam, wird kompakt und kurz angerissen. Wir erleben also prägende Jahre, sehen aber eben doch nur ein Ausschnitt. Insgesamt bleibt vieles in der Schwebe – allem voran die Frage, was aus dem Bauhaus und Ise geworden wäre, wenn die Nazis nicht an die Macht gekommen wäre.
Die Lektüre vermittelt einen guten Eindruck, was die Mitglieder des Bauhaus erreichen wollte, was ihnen wichtig war und wie sie miteinander umgegangen sind. Das, was wir heute unter Emanzipation verstehen, wurde damals noch nicht gelebt. Das macht Ise Frank und die Frauen des Bauhaus nicht weniger faszinierend – im Gegenteil!
Was mir nach der Lektüre auf jeden Fall im Gedächtnis bleiben wird, ist ein Detail aus Ises Leben: Sie war Buchhändlerin und schrieb Rezensionen. So sind es gerade die Szenen aus der Buchhandlung in München, die mich besonders fasziniert haben. Gemütliche Leseecken sind also keine Erfindung der Neuzeit – sie gab es auch um 1920 schon in Buchhandlungen!
Angaben zum Buch:
Jana Revedin
Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus
Das Leben der Ise Frank
Ein biographischer Roman
Die Lektüre hatte Folgen: Ich habe richtig Lust auf das Bauhaus-Jubiläum bekommen. Bauhaus-Frauen von Ulrike Müller habe ich mittlerweile ausgelesen und besprochen. Und ich war endlich in der Weißenhof-Siedlung in Stuttgart.