Alte Helden mit arthritischen Knochen. Junge Stutzer, die dem langweiligen Leben als Adlige entfliehen wollen. Hornwölfe mit äußerst komplexen Moralvorstellungen und Clan-Regeln. Dazu dann noch seltsame Religionen und eine blutjunge Päpstin, alte Götter und Teufel sowie Menschen, die vor allem dem letzten Detail zu wenig Aufmerksamkeit schenken.
Alex Marshall – wer auch immer sich hinter diesem Pseudonym verbirgt – wirft seine Protagonisten mitten in das Geschehen. Wer sie sind und wie sie in dieses Lied, in diese Geschichte, geraten sind, verrät er erst so nach und nach.
Der Landschaft misst der Autor nicht all zuviel Bedeutung bei. Sie ist der Ort des Geschehens, mehr nicht, und wird vor allem durchritten. Nur das Meer, das beeindruckt ihn.
Ich mag seine Art zu erzählen, seine Halbsätze und Skizzen, lassen sie mir doch viel Raum für eigenes Kopfkino.
Choi erlebt man zum Beispiel zuerst als Kampfwächterin in Aktion. Das Beziehungsgeflecht der Personen in diesem Kapitel ist wichtiger als die einzelnen Charaktere. Dass Choi eine Hexengeborene ist, erfährt man so nebenbei; die Hinweise, was „hexengeboren“ eigentlich bedeuten könnte, werden über das ganze Buch verteilt. Chois kleine schwarzen Hörner werden erst viel später kurz erwähnt. Für alle, die diesen Hinweis verpasst haben, wird er im nächsten Kapitel noch einmal wiederholt und dabei durch die Erwähnung ihrer roten Augen ergänzt.
Doch jetzt, da der Leser ein Bild von Choi vor Augen hat, heißt es schon nicht mehr Hexengeborene, sondern Wildgeborene. Diese politisch korrektere Bezeichnung bereitet vor allem Dingen einem Helden, der ganz sicherlich kein politisch korrektes Leben geführt hat, Schwierigkeiten. Dabei ist er von allem männlichen Helden über weite Strecken der aufrichtigste. Natürlich steht ihm ein Eid im Weg, den er jedoch kreativ umgeht.
Es ist dieses Spiel mit Erwartungshaltungen und Rollenklischees, dieses feine zweite Ebene, die mir so viel Lesevergnügen bereitet hat. Da erzählt schon mal eine Generalin, wie das ist, mit Zwillingskindern in den Krieg zu ziehen und diese auf dem Pferd zu stillen. Männer heiraten Männer, um über kleine Inselkönigreiche zu herrschen. Frauen fluchen und rauchen Pfeifen mit stinkendem Kraut. Und immer, wenn man meint, die Rolle einer Figur zu kennen, kommt es anders.
Vielleicht wird zuviel über Strategie und Kriegsführung in „Blut aus Silber“ diskutiert. Doch es sind gerade diese Gespräche, die die Verhältnisse zwischen den Figuren offen legen.
Ich hatte eine gute Zeit mit Zosia, Maroto und den Hornwölfen. Doch ich sage Euch: das Ende der Welt ist nicht mehr fern und es naht aus einer ganz anderen Richtung als erwartet.
… dass Großvater mit seiner Behauptung, alle Geschichten würden zu gleichen Teilen Weisheit, Wahrheit und Schwachsinn enthalten, vermutlich recht hatte.
Blut aus Silber – S. 308
Weitere Angaben zum Buch:
Alex Marshall
Blut aus Silber
A Crown for Cold Silver
Übersetzt von: Andreas Decker
Piper Fantasy
ISBN: 978-3-492-70361-1