Dieses Buch erschafft sich sein Genre selbst. Mut braucht eine Stimme ist ein persönliches Buch, aber keine Biographie. Für einen Ratgeber kommt es mit erstaunlich wenigen Ratschlägen aus. Solche Genre-Grenzgänger haben es mir ja grundsätzlich angetan – ich mag diese Freigeister unter den Büchern.
Drei große Themenfelder bearbeitet der Autor, die er mit Stumm sein – Laut werden – Gehör finden benennt. Im ersten Teil beschreibt er, wie zuviel Input, Aktionismus und unser zu hohes Lebenstempo uns zum Verstummen bringt – und unsere innere Stimme gleich mit.
Der zweite Teil bringt die innere Stimme wieder zum Klingen. Wichtigstes Werkzeug ist das Ausrichten der Lebensreise an einem eigenen Werte-Horizont.
Im letzten Abschnitt wird beides im eigenen Leben verankert, so dass das Handeln im Einklang mit der inneren Stimme seine Wirkung entfalten kann.
Das ist ein sehr sympathisches und tragfähiges Lebenskonzept, dass dazu führt, das Menschen einander wieder wertschätzend und auf Augenhöhe begegnen können.
Ein Lieblingszitat bescherte mir das Buch auch:
Zeitmanagement macht einen sinnlosen Weg nicht sinnvoller.
Peter Holzer, Mut braucht eine Stimme S. 39
Also alles bestens? Nein, nicht ganz.
Lebenswelten und eine enge Vorstellung von Karriere
Geärgert habe ich mich auch. Dieses Zitat zum Thema Frauenquote in der Wirtschaft war der Auslöser: „Als Frau würde ich das auch gar nicht wollen!“ Als Frau hätte Peter Holzer ein ganz anderes Leben geführt und dadurch ganz andere Einsichten und Ansichten gewonnen. Er kann daher meines Erachtens gar nicht wissen, was er als Frau wollen würde!
Würde ich in den gleichen Kategorien denken, würde ich sein Buch als ein sehr männliches Buch beschreiben. Seine Vorstellung von Karriere ist die eines Alpha-Tieres. Es wird gekämpft, man durchsteht ein tiefes Tal der Tränen durch Hartnäckigkeit, Ausdauer und Willenskraft und setzt sich schließlich durch. Andere Modelle von Karriere kommen in dem Buch nicht vor. Das mag an der Lebenserfahrung des Autors liegen oder an der Branche, aus der er stammt. Ich weiß es nicht. Fakt ist aber, dass das dazu führte, das der berufsbezogene Teil des Buches für mich ein Blick in eine andere Welt war. Hochinteressant, wie Menschen dort leben – aber mein Horizont hat mich von Anfang an woanders hingeführt.
Womit wir bei dem sind, was mir von Mut braucht eine Stimme im Gedächtnis bleiben wird. Zu allererst ein sehr interessanter Blick in eine Lebenswelt, die nicht meine ist. Genau dafür sind Bücher ja auch da! Aber noch wertvoller ist für mich die Idee des Werte-Horizonts, an dem jeder seine eigene Lebensreise ausrichtet. Es ist an der Zeit, meine Seekarten mal wieder etwas detaillierter auszugestalten.
Ein weiteres Buch von Peter Holzer würde ich durchaus lesen. Ich wäre neugierig, wie seine Lebensreise von nun an verläuft und wie sich sein Horizont erweitert. Er hat gelernt, seine innere Stimme zu hören und ihr zu folgen. Mich würde interessieren, ob er sie in ein paar Jahren immer noch nüchtern als innere Stimme bezeichnet oder ob er noch andere Nuancen heraushören und benennen wird – vielleicht nennt er es dann Herz, vielleicht Universum oder auch Gott. Auch dazu braucht es Mut.
Infos zum Buch:
Mut braucht eine Stimme
Wie sie ihrem Leben Wirkung geben
Gabal Verlag
ISBN 978-3-86936-797-2
Übrigens: wie sich in einem kurzen Mailwechsel mit dem Autor herausstellte, sind wir beide von einem Buch begeistert, das ich auf meinem Blog schon besprochen habe:
Dr. Kristina Brode – Angst als Chance
Diagnose Krebs: Brücken zur Selbstheilung und zu einem neuen Lebensgefühl