Wer „Mein Jahr als Jäger und Sammler“ von John Lewis-Stempel lesen möchte, sollte das Wort Jäger im Buchtitel ernst nehmen. Sehr ernst. John Lewis-Stempel beschließt, zwölf Monate lang von dem zu leben, was seine eigenen 16 Hektar hergeben. Farmland mit Hecken, Weiden, Wäldern und einem Fluss. Mit Enten, Eichhörnchen, Fasanen. Mit Löwenzahn, Gänsefuß, Bärenklau. Wildäpfeln, Brombeeren, Schlehen. Für diese Lebensweise braucht es Wissen, Geduld und die Bereitschaft, Hunger auszuhalten. Er bringt all das mit und packt noch Hartnäckigkeit obendrauf.
Über allen Seiten schwebt ein Banner „Don’t try this at home – und schon gar nicht mit einem Selbstversorgergarten. Ohne Jagdschein und die Fähigkeit, Tiere zu häuten, zu rupfen, auszunehmen kommst du hier nicht weit.“
Sinnkrisen und Schlehenwein: Die Hintergründe des radikalen Experiments
Was treibt einen Menschen zu so einem radikalen Selbstexperiment? Eine Sinnkrise. Neugier. Gute Grundlagenkenntnisse. Und die Tatsache, dass man sich mit Kauf und Renovierung der Farmhaus-Ruine gründlich übernommen hat. Das Geld ist knapp. Warum sollte man es dann in den Supermarkt tragen, wenn man wohlmöglich ein Schlaraffenland vor der Haustür hat?
Die Familie macht nicht mit, toleriert aber das Experiment. Nur das Rupfen von Fasanen in der Küche verbittet sie sich bald. Und die Faszination für Schlehenwein und gesottenem Eichhörnchen mit Beeren will sie auch nicht teilen. Dafür hält sie mit dem Auto an, damit Papa Roadkill einsammeln kann, und diskutiert nicht mit ihm, ob der Kadaver wirklich auf seinen 16 Hektar Land lag.
Zwischen Poesie und Pragmatismus: Das Jahr, in dem die Natur zur Speisekammer wurde
Ein radikales Buch. Aber auch eines voller poetischer Naturbeschreibungen. Eines, das verblüfft. Und zwischendurch nervt. Weil es dann doch wieder eine Querverbindung zu einem alten Literaten/Philosophen/Historiker zuviel schlägt. Wobei es schon bemerkenswert ist, wie sehr Rezepte aus verstaubten Bibliotheksbüchern diesen speziellen Speiseplan bereichern können.
Was für mich nach der Lektüre bleibt, ist ein anderer Blick auf Jahreszeiten, die einst wirklich die Ernährung und den Lebensrhythmus prägten. Und die Tatsache, dass sich bei dieser Lebensweise die Gedanken vom Aufwachen bis zum Schlafen nur um eines drehen: Wo finde ich Essen? Wie kann ich es zubereiten oder haltbarmachen? Was esse ich morgen, was habe ich noch in meinen Vorräten, wo könnte ich jagen oder sammeln? Einfacher gesagt: Hunger!
Infos zum Buch:
John Lewis-Stempel
Mein Jahr als Jäger und Sammler
Was es wirklich heißt, von der Natur zu leben
Feine Rezension aus der Zeitschrift PTA