Natürlich habe ich zu „Mistral“ gegriffen, weil die Provence für mich ein Sehnsuchtsort ist. Wenn ich dort Urlaub mache, zieht es mich nicht an die Küste, sondern ins Hinterland. Dorthin, wo die Gegend rauer und die Naturerlebnisse intensiver sind. Der schmale Roman von Maria Borrély spielt in der Haute-Provence. Ich kann mich an beeindruckende Wanderungen erinnern und an Wege, bei denen wir nicht wussten, ob das der Wanderweg oder ein Ziegenpfad ist. An den Duft von Thymian und Lavendel. An dornige Sträucher und an Schmetterlinge. Abends, bei Baguette, Käse und Rosé, dann die Frage: Wollen wir nicht hierher ziehen? Meine Antwort immer: Dazu müsste ich hier erst einmal als Sommerurlaube erlebt haben – und die Zeit des Mistrals.
Jetzt, nach etwa 100 intensiven Seiten, auf denen es kein Wort zu viel oder zu wenig gab, habe ich eine Vorstellung davon, wie es sein könnte, mit der Natur und dem Wind zu leben. Nun bin ich mir noch unsicherer, ob ich das könnte.
Das Leben, die Liebe – und der Wind
„Mistral“ erzählt, wie es ist, wenn Wind und Wetter den Rhythmus vorgeben, wenn Leben und Natur eines sind. Maria Borrély beschreibt wilde Schönheit der Haute Provence und die harte Arbeit, die es braucht, um all die Schätze – Lavendel, Mandeln, Früchte – zu ernten. Fast schwärmerisch lässt sie Farben und Gerüche lebendig werden und kehrt doch immer wieder zum kargen, präzisen Ton zurück, der so perfekt zur Landschaft passt. Mittendrin Marie, die sich bis zu dem Tag, an dem sie sich verliebt, kein anderes Leben vorstellen kann.
Immer weht der Wind, der die Menschen mal spielerisch umschmeichelt, um dann wieder zu zeigen, dass er auch anders kann. Seine ständige Präsenz gilt es auszuhalten, sonst wird man nicht nur sehnsüchtig, sondern auch wahnsinnig.
Fast schon ein Roman: die Geschichte hinter dem Buch
Aber „Mistral“ von Maria Borrély ist so viel mehr als ein Provence-Roman. Das Buch ist eine Wiederentdeckung, die ahnen lässt, wie viele großartige Bücher von Frauen uns verloren gegangen sind. Sogar solche, die bei Erscheinen Lob von großen Schriftstellern ihrer Zeit erhielten.
Warum „Mistral“ doch knapp 100 Jahre überlebt hat, was verlegerischer Mut und die Reisen einer Übersetzerin in die kleinen Dörfer der Haute-Provence damit zu tun haben, erzählt das ausführliche Nachwort. Auch diese Geschichte wäre einen Roman wert!
Infos zum Buch:
Maria Borrély
Mistral
Neuübersetzung von Amelie Thoma
Rezension auf dem Blog Buch-Haltung. Sie hat mir einen Ohrwurm beschert:
„Le vent nous portera“ – hier in der Version von Sophie Hunger