Blutzoll, Blutspur – das sind Titelformulierungen, die nicht gerade meinem Beuteschema bei Büchern entsprechen. Urban Fantasy, trockener Humor, eine Privatdetektivin und Vampire hingegen schon! Trotzdem musste die Buchserie von Tanya Huff durch drei Verlage wechseln, bis ich sie endlich entdeckte. Und ich frage mich: Warum? Wie konnte ich so lange blind sein?
Was mich tröstet: Ich bin nicht alleine. Auch Eva Bergschneider vom mittlerweile leider eingestellten Buchblog Phantastisch lesen erging es so. Das schreibt sie über die Serienheldin Vicki Nelson:
Vicki brachte allerdings bereits Anfang der 90er Jahre Eigenschaften mit, die man heute mit Progressiver Phantastik assoziiert. Sie ist nicht nur eine coole und selbstbewusste Frau, sondern hat mit einer Sehbehinderung zu kämpfen und lebt offene Beziehungen. Beides wird in der Geschichte weder besonders betont, noch versteckt, sondern gehört ganz natürlich zu ihrem Leben. Viele der nachfolgenden Urban Fantasy Held:innen aus den frühen 2000er Jahren kamen weitaus konventioneller herüber.
Buchblog Phantastisch Lesen
Am besten lest ihr ihre Rezension zu Blutzoll, denn ich möchte hier eine ganz andere Geschichte erzählen: eine über das Büchermachen, über kleine Verlage und über einen Buchmarkt, der für sie so nicht funktioniert.
Von Feder & Schwert zu Lindwurm: Die Geschichte einer Fantasy-Serie in Deutschland
Eines ist fast noch schlimmer als die Tatsache, dass ich die Bücher von Tanya Huff so lange ignoriert habe: Kaum habe ich die ersten beiden Bände Blutzoll und Blutspur gelesen, wird die Neuveröffentlichung der Serie wieder eingestellt. An der Qualität liegt das sicherlich nicht. Die Luft für Bücher aus Klein(st)-Verlagen ist auf dem deutschen Buchmarkt sehr dünn geworden.
Gerade die Veröffentlichungsgeschichte der Blut-Linien-Serie ist ein gutes Symbol dafür. Es war der kleine Verlag Feder & Schwert, der auf Rollenspielbücher und Fantasy spezialisiert war, der die in den 90ern entstandene Buchserie nach Deutschland holte. Er veröffentlichte sie ab 2004 in deutscher Übersetzung. Dann verloren sie die Rechte an den Lyx-Verlag, der zu Bastei Lübbe gehört, einem Konzern. Mit dem Start der TV-Serie „Blood Ties“ brachte dieser die Bücher 2008 noch einmal heraus und erreichte deutlich mehr Leser*innen. Nun veröffentlichte der kleine Lindwurm-Verlag sie erneut unter dem Serientitel „Blut-Linien“ – und scheitert.
Die Verdrängung der Pioniere: Wie Konzernverlage Trends ausschlachten
2004 war Fantasy und insbesondere progressive Phantastik noch eine Nische. Die Buchauswahl auf dem deutschen Markt war überschaubar. Anders gesagt: sie passte zur Zahl der Fans, denn außerhalb der Szene wurde das Genre kaum beachtet. Dann begann die Zeit, in der ein Konzernverlag einen Trend nur zu riechen brauchte und ihn nachahmte. Der Buchmarkt wurde geflutet. Dadurch wurden durchaus neue Leser*innen erreicht. Phantastik wurde populärer. Doch in der Überproduktion gingen die kleinen Verlage unter.
Dieses Muster lässt sich nicht nur in der Belletristik und der Fantasy beobachten, sondern auch in anderen Warengruppen und Genres. Seien es vegane Kochbücher oder Ausmalbücher für Erwachsene: Es sind so gut wie immer die kleinen Verlage, die Bücher zu einem Trendthema haben, das gerade eben noch nicht im Mainstream angekommen ist. Wenn das Publikum eine gewisse Größe erreicht hat, profitiert der Indie-Verlag zunächst von seiner Aufbauarbeit. Doch dann springen die großen Verlage auf den Trend auf und fluten den Buchmarkt mit teuer gekauften Rechten und jeder Menge Lookalikes. Die Sichtbarkeit für die kleinen Verlage, die Trendsetter waren, nimmt ab.
Die unverzichtbare Rolle der Indie-Verlage für die Buchvielfalt – und ein Podcast-Tipp
Für Leser*innen wie mich sind Indie-Verlage von enormer Bedeutung. Sie sind der Garant für ein vielfältiges, abwechslungsreiches Buchangebot. Aber was können wir für sie tun? Strukturelle Verlagsförderung, verbesserter Marktzugang, mehr Etat für die Bibliotheken – welcher Hebel wirkt? Ich weiß es nicht. Doch allen, die mehr darüber wissen wollen, empfehle ich den Podcast „Beans and Books“. Victoria Hohmann und Andreas Vierheller unterhalten sich seit einem Jahr ganz ergebnisoffen mit Buchmenschen. Dabei ist ein Mosaik aus Stimmen und Ansichten entstanden. Ich empfinde die Gespräche als sehr bereichernd. Sie haben mein Verständnis für die Nöte und die Motivation der Buchschaffenden verbessert.
Happy End in Sicht? Nein, eher ein neuer Eisberg
Doch wie geht es nun weiter mit der Ermittlerin Vicki Nelson, dem Vampir Henry Fitzroy und mir? Ich werde versuchen, die fehlenden Bücher gebraucht zu bekommen. Das sollte kein Problem sein, denn der Markt für Second-Hand-Bücher ist gewachsen – genau wie die Anzahl der Öffentlichen Bücherschränke. Was gut für das ökologische Gewissen und ein Segen für die Stadtgesellschaft ist, verschärft die Probleme der Verlage weiter: Die Urheberinnen gehen leer aus – an diesen Büchern verdienen weder Autorinnen noch Verlage. Der Markt für neue Bücher wird zudem dadurch kleiner. Auch darüber wird meiner Meinung nach viel zu wenig diskutiert!
Infos zu den Büchern von Tanya Huff:
Blutzoll – Band 1
Blutspur – Band 2
Lindwurm Verlag in der Bedey und Thoms Verlagsgruppe
Podcast Beans und Books
In Folge 10 war ich zu Gast. Wir sprachen über vieles (Einzelhandel, Buchblogs, VLB, Communities, Backlist, Neuerscheingsflut und Buch-Biotope) und hätten doch noch so viel mehr Themen gehabt!