Das Weltwissen der Siebenjährigen
„Wie Kinder die Welt entdecken können“ – so lautet der Untertitel von Donata Elschenbroichs Buch „Weltwissen der Siebenjährigen“.
Mir ging es bei der Lektüre vor vielen Jahren jedoch darum, wie ich als Erwachsene die Sicht der Kinder auf die Welt entdecken könnte. Und da hat mir dieses Buch wirklich die Augen geöffnet …
Doch der Reihe nach.
Damals wollte ich mal wieder etwas ganz genau wissen. Wie sehen Kinder die Kinderbuchabteilung, in der ich arbeite? Wie sehen sie die Bücher? Was interessiert sie? Und warum? Wie treffen sie ihre (Kauf)Entscheidungen? Und wie kann ich als Buchhändlerin ein Kind beraten? Auslöser war wohl, das ein paar mal zu oft ein Beratungsgespräch damit endete, dass das Kind die Klappentexte las und dann nach dem Cover auswählte … das ging gegen meine Berufs-Ehre.
„Weltwissen der Siebenjährigen“ war für mich eines der wichtigsten Bücher – vorsicht, Pathos – es hat meinen Blick auf meine Kinderbuchabteilung geändert. Donata Elschenbroich hat es verstanden, meinem Erwachsenen-Ich ein Gefühl dafür zu geben, wie es ist, die Welt zum allerersten Mal zu entdecken.
Listen waren zu Erscheinen des Buches schrecklich „in“ (erinnert sich noch jemand an Schotts Sammelsurium?).
Donata Elschenbroich bietet eine Liste der Dinge, die ein Kind bis zum siebten Lebensjahr gemacht – oder besser – erlebt haben soll. Darunter befindet sich Ereignisse wie „in einen Bach gefallen sein“ und „woanders übernachten“. Durch ihr Buch konnte ich nachvollziehen, wie Lernen funktioniert, was zum Lernen alles dazu gehört und was es bedeutet, sich die Welt zum allerersten Mal anzueignen.
Wenn sich Kinder im Laden nicht entscheiden konnten, dann hatte das viel damit zu tun, dass sie noch keine Entscheidungs-Findungs-Routine hatten – und ich viel zu viel von dieser Routine. So kann die Kommunikation ja nicht funktionieren!
Danach konnte ich auch einen Praxis-Tipp, den ich auf einem Seminar gehört hatte, viel besser umsetzen. „Empfehlen sie Kinderbuchklassiker, denn für jeden neuen Jahrgang sind diese Bücher wieder neu.“ Natürlich sind nicht nur die Bücher neu, sondern auch die darin enthaltenen Themen, denn jedes Kind entdeckt die Welt neu.
Nur die Erwachsenen neigen dazu, so zu tun, als sei schon immer alles da gewesen.
Wer neugierig auf die Liste ist – ein Auszug aus dem ersten Entwurf
(S. 23 ff)
…Ein siebenjähriges Kind sollte vier Ämter im Haushalt ausführen können (etwa: Treppe kehren, Bett beziehen, Wäsche aufhängen, Handtuch bügeln). Es sollte ein Geschenk verpacken können. Zwei Kochrezepte umsetzen können, für sich und einen Freund, für sich selbst und für drei Freunde. Es sollte einmal ein Baby gewickelt oder dabei geholfen haben. … Es sollte drei Fremdsprachen oder Dialekte am Klang erkennen. Drei Rätsel, Witze erzählen können. Einen Zungenbrecher aufsagen können. … Eine Sonnenuhr gesehen haben. Durch ein Teleskop geschaut haben, zwei Sternbilder erkennen. … In einer Bücherei gewesen sein, in einer Kirche (Moschee, Synagoge…), in einem Museum. Einmal auf einer Bühne gestanden haben und einem Publikum mit anderen etwas Vorbereitetes vorgetragen haben. …
Das ist nur ein Auszug. Die vollständige Liste, wie diese Liste zustande kam und wie darauf reagiert wurde, dazu findet ihr hier Hintergrundinformationen. Für Donata Elschenbroich selbst ist das übrigens keine Checkliste, die Kinder abhaken sollen, sondern eine Aufforderung an Erwachsene, für sich selbst zu überprüfen, welche Entfaltungsmöglichkeiten sie Kindern zur Verfügung stellen.
Infos zum Buch:
Donata Elschenbroich
Weltwissen der Siebenjährigen
Wie Kinder die Welt entdecken können
Goldmann Verlag
ISBN: 978-3-442-15175-2