Die Bücher, der Junge und – Leipzig!

Kai Meyer: Die Bücher, der Junge und die Nacht. Der Roman, der über weite Strecken in Leipzig spielt, wurde aufrecht stehend in einem alten Möbelstück fotografiert.

Ach Leipzig. Allein die Beschreibungen des Graphischen Viertels Leipzig sind für mich ein guter Grund, Kai Meyers „Die Bücher, der Junge und die Nacht“ zu lieben. Um 1930 gab es dort über 2000 Betriebe rund ums Buch: Druckereien, Buchbinder, Antiquariate und Buchhandlungen. Darunter Manufakturen und kleine Handwerksbetriebe, aber eben auch Produzenten von Massenware und Industriebetriebe. Menschen, die von der Liebe zum Buch angetrieben werden, genauso wie solche, für die Bücher ein Werkzeug der Propaganda sind.

Was mich zum zweiten Grund führt, das Buch von Kai Meyer ins Herz zu schließen: Es zeigt auf vielen Ebenen, was phantastische Literatur kann. Natürlich ermöglicht uns phantastische Literatur, in unbekannte Welten einzutauchen. Doch dass das nicht nur Flucht ist, sondern auch ein Weg, unsere Gegenwart besser zu verstehen, zeigt Kai Meyer eindrücklich. Er verbindet Phantastik mit Zeitgeschichte – und das gleich auf zwei Zeitebenen.

Wie konnte das passieren? Und warum hörte es nie auf?

Besonders im Gedächtnis bleiben wird mir das Leben im graphischen Viertel in Leipzig in den 30er Jahren. Hier gelingt es Kai Meyer, schon fast nebenbei zu erzählen, wie die Nationalsozialisten ihre Diktatur verwirklichen konnten. In der Hauptrolle „ganz normale Bürger“, die sich einen Vorteil erhoffen, und dafür bereit sind Herz, Hirn und Anstand in die Tonne zu treten. Dazwischen Menschen, die Herz, Hirn und Anstand nutzen, um sich der braunen Flut entgegenzustellen. Das machte mir beim Lesen die Kehle eng.

Das Gegenwicht zu diesem Erzählstrang bilden die 70er Jahre. Einerseits erleben wir hier Aufbruch und Befreiung der Frau und der Lebensentwürfe. Andererseits ist klar zu erkennen, dass die Entnazifizierung Deutschlands ein Mythos ist. Noch immer ziehen sowohl in West- als auch in Ost-Deutschland Männer und Frauen die Fäden, die schon während der Nazi-Diktatur durch strategische Schachzüge ihr Glück machen konnten.

Die Nacht hätte schwärzer sein können

Wer mehr zur Handlung und zu den Charakteren erfahren möchte, ist wie immer bei mir fehl am Platz. Ich möchte meine Lesenotizen – den nichts anderes ist mein Buchblog – noch um eine Beobachtung ergänzen: Ich frage mich, welches Ende Kai Meyer ursprünglich im Sinn hatte. Die Geschichte hätte auch anders ausgehen. Schauriger, düsterer, ritueller. Ich mag den jetzigen Schluss durchaus, aber er wirkt für mich Lektorats-getrieben „Nicht zu viele Leser*innen verschrecken“. All das hätte auch viel schwärzer enden können!


Infos zum Buch:

Kai Meyer
Die Bücher, der Junge und die Nacht

Droemer Knaur


Leipzig ist meine Lieblingsstadt:

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