Natürlich ist es schön, sich einfach so durch eine Stadt treiben zu lassen. Laufen, atmen, schauen. Das genügt völlig. Eigentlich.
Noch schöner finde ich es aber, sich durch eine Stadt treiben lassen, den Blick zu öffnen und nach Strukturen Ausschau zu halten.
In Berlin fasziniert mich zum Beispiel jedes Mal der Rhythmus der Stadtviertel: Wohngebiet, Park, Häuser aus unterschiedlichen Jahrzehnten und dann, wenn es wieder mehr Läden gibt, kann die nächste U-Bahn-Station nicht mehr weit sein. Mit einher gehen Geschichten voller Leben, die sich in den Straßen einer Stadt widerspiegeln.
Architektur erzählt ebenfalls Geschichten über die Stadt und die Menschen. Man muss sie nur lesen können. »Alles nur Fassade?« Ist ein Wörterbuch für solche Geschichten.
Schau dir die Fenster an – Architektur deuten lernen
Die Fassade ist bei Stadtspaziergängen das, was wir auf jeden Fall erblicken können. Wenn wir denn hinschauen. Einem Jugendstilgebäude fällt es leicht, unseren Blick auf sich zu ziehen. Ein Gebäude aus den 50er Jahren weckt unsere Aufmerksamkeit vielleicht so gerade eben noch mit einem nierenförmig geschwungenen Vordach oder einem Mosaik rund um die Eingangstür. Doch an vielem gehen wir achtlos vorbei, weil wir es nicht deuten können.
»Alles nur Fassade?« war für mich ein Blick-Öffner. Ich schaue mir seit dem tatsächlich sogar meine Heimatstadt anders an. Turit Fröbe öffnet einen ganz einfachen Zugang zur Architektur: schau dir die Fenster an. Davon ausgehend kannst du das ganze Gebäude anhand von verwendeten Materialien und der Formen deuten und abschätzen, wann und warum es gebaut wurde. Die Methode ist ebenso einfach wie großartig – eine Sehschule für Stadtflaneure (und Flaneusen)
Und dann entdeckst du deine Heimatstadt im Buch
Reformarchitektur, neues Bauen, Moderne, High-Tech – zu jeder architektonischen Stilrichtung und Epoche werden ikonische Gebäude vorgestellt.
Meine Heimatstadt Mannheim hat es auch in das Buch geschafft, wenn auch ausgerechnet mit einem Gebäude, mit dem kaum ein Mannheimer etwas anfangen kann, und das, was die Nutzung der Flächen angeht, eine einzige Fehlplanung war: das Stadthaus in N1, eine Ikone der Postmoderne.
Doch gerade die Quadrate rund um N1 bieten sich für einen architektonischen Stadtspaziergang à la Turit Fröbe an, denn dort findet man auf engstem Raum sehr viele unterschiedliche Architekturstile. Buch lesen, loslaufen, Blick heben – entdecken und staunen! Ich habe es genossen.
Infos zum Buch:
Turit Fröbe
Alles nur Fassade?
Das Bestimmungsbuch für moderne Architektur
176 Seiten, 500 farbige Abbildungen
Dumont Verlag
Auch dieses Buch war für mich ein Blicköffner:
Schule des Sehens – Peter Jenny
Und wem die moderne Architektur nicht so wirklich gefällt, der darf 2020 Tag für Tag eine Bausünde abreißen – wirklich!
Turit Fröbe
Der Abrisskalender 2020
366 Bausünden zum Abreißen
Dumont Verlag
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