Meine ganz private Kunst-Welt wandelt sich. Während ich mir früher Ausstellungen nach dem Motto „Diesen Künstler wollte ich schon immer mal sehen“ heraussuchte, ist es heute viel häufiger ein „Dich kenn ich nicht, dich schaue ich mir an“.
„Umbruch“ in der Mannheimer Kunsthalle war dafür eine gute Gelegenheit. Gleich auf dem Ausstellungsplakat begegnete mir ein Blick, den ich so schnell nicht vergessen werde: das Porträt der Hildegard Heise, gemalt von Anita Rée.
NEUE SACHLICHKEIT IST (AUCH) WEIBLICH
Website der Kunsthalle Mannheim
Das erste Kapitel der Ausstellung zeigt – rund 100 Jahre nach der legendären Mannheimer Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ – drei weibliche Positionen dieser Stilrichtung. … Dazu gesellen sich die Bilder der Hamburgerin Anita Rée (1885–1933), die mit ihren eindringlichen Porträts zu den bedeutenden künstlerischen Positionen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezählt werden muss.
Eindringlich trifft es. Ihre Bilder wirken wie das Konzentrat eines Menschen, verdichtete Psyche. Was für ein Mensch muss man sein, um solche Bilder malen zu können? Dieser Frage geht der Roman „Himmel auf Zeit. Die vergessene Künstlerin Anita Rée.“ Von Karen Grol nach.
Anita Rée – ein Leben ohne Happy End
Vorneweg: Ich habe gezögert, das Buch zu beginnen. Anita Rée brachte sich 1933 um. Ich wusste also von Anfang an, dass diese Geschichte kein Happy End nehmen wird, und war mir nicht sicher, ob ich mich dem stellen möchte. Dann entschloss ich mich, der Autorin zu vertrauen – und habe es nicht bereut!
Am Ende des Buches war mir klarer, was eine Künstlerin können muss, um solch eindringliche Porträts zu erschaffen. Ganz ehrlich: Ich bin froh, dass ich dieses Talent nicht habe!
In der Kunst wie im Leben: der Kampf um den eigenen Raum
Wenn Anita Rée einen Menschen gemalt hat, dann hat sie sich ganz auf ihn eingelassen. Dafür musste sie in ihren persönlichen Raum der Stille gelangen. Nur dort war sie so hochkonzentriert, dass das Kunstwerk gelingen konnte. Doch dieser Raum der Stille war für sie nicht leicht zu erreichen – so gut wie jedes Bild hat sie sich hart erkämpft.
Auch ihr Leben als Künstlerin musste sie sich erkämpfen. Als wäre das nicht genug für ein Leben, malte sie noch in einem Stil, der angefeindet wurde. Ihre Freundin Marie Laurencin fasst das so zusammen:
„Je weniger die Menschen die neue Kunst verstehen, desto mehr schlagen sie sich auf die Seite der Alten Meister, kämpfen für deren Legitimation, als wollten wir ihnen die wunderbaren Werke der Renaissance wegnehmen, als wäre nicht genug Platz für jede Art von Kunst.“
S. 82 – Karen Grol, Himmel auf Zeit
Karen Grol brachte mich als Leserin sehr nah an Anita Rée – so nah, dass ich begann, mit der Figur zu hadern. Manchmal wollte ich sie einfach nur schütteln, so lange, bis die Negativität von ihr abfallen würde. Zu sehr konzentrierte sie sich auf den Platz, den sie nicht einnehmen konnte, und übersah, was ihr alles gelungen war.
Aber dieses Verzweifeln an Protagonistinnen ist eine Lese-Marotte von mir und der Hauptgrund, warum ich so selten Romane mit Realitätsbezug lese. Zum Glück konnte ich das für diesen wunderbaren biographischen Roman ablegen!
Angaben zum Buch:
Karen Grol
Himmel auf Zeit.
Die vergessene Künstlerin Anita Rée
Wie immer erzähle ich mehr über meine persönlichen Lese-Erlebnisse als über das Buch selbst. Wer eine „richtige“ Roman-Rezension lesen möchte, der kann auf dem Blog des Buchhändlers Hauke Harder vorbeischauen: Himmel auf Zeit
Anita Rée in der Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim. Beiträge zur Ausstellung im Kunstblog Mannheim und bei musermeku.
Was ich mir sonst noch angeschaut habe: Beiträge über Kunst und Museumsbesuche auf meinem Blog.
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