Die Surrealistin: Roman über Leonora Carrington. Und über Max Ernst.

Die Surrealistin. Biographischer Roman über die surrealistische Malerin Leonora Carrington.

Mich auf Leonora Carringtons Bilder einzulassen erfordert immer Mut. Es ist, als würde ich in der Dämmerung auf einem Sprungbrett stehen. Unter mir schimmerndes Wasser. Darin Schemen von Menschen, Wesen und Tieren, die nicht so aussehen, wie die Tiere, die mir vertraut sind. Nichts davon erscheint auf den ersten Blick gefährlich. Doch kann ich dem Frieden trauen? Bin ich bereit, einzutauchen und mich den dort wirkenden Kräften zu überlassen?

Meine Rationalität sucht in dieser Situation einen Ausweg und beginnt, Fragen zu stellen: Was ist das für ein Mensch, der so malen kann? Wie hat sie es gemalt, woher kam die Inspiration? Und muss man ein wenig verrückt sein, um solche Bilder zu erschaffen?

Fragen, um die auch der biographische Roman „Die Surrealistin“ von Michaela Carter kreist. Auf fast alle findet er eine Antwort. Nicht alle davon überzeugen mich, denn zu viele davon sind mit Max Ernst verknüpft. Zumindest war das der Eindruck, der bei mir entstand, weil Max Ernst viel Raum einnimmt. Doch das ist ein Kunstgriff, auf den ich beim Lesen hereingefallen bin. Max Ernst dominiert die Handlung zweimal. Einmal liefert er die Anschub-Energie, die Leonora Carrington braucht, um sich aus der Herrschaft ihres Vaters zu befreien. Die größte Präsenz hat er jedoch in der Phase, als Leonora auf der Flucht ist und sich selbst dabei verliert. So wird er zum Spiegel ihrer Abwesenheit.

Wie kann man nur solche Bilder malen?

Denn „Die Surrealistin“ ist kein voyeuristisches Buch. Es wahrt den Respekt und lässt Leonora Carrington ihre Geheimnisse, ohne die ihre Bilder nicht entstehen könnte. Offensichtlich hat die Malerin einen sehr direkten Zugang zu der Traumwelt, der Anderswelt, dem Land hinter den Spiegeln. Doch um sicher dorthin und wieder zurück zu gelangen braucht sie das richtige Maß an Sicherheit und Freiraum, an Zerbrechlichkeit und Kraft, an Wildheit und Ruhe. Nichts davon ist selbstverständlich, wenn sich die Welt im Krieg befindet.

Ein klein wenig Voyeurismus erlaubt sich die Autorin Michaela Carter doch. Ihr Blick auf Nebenfiguren ist pointiert. Mit den Auftritten von Peggy Guggenheim, Dali und Gala, Andre Breton, Dorothea Tanning, Leonor Fini und vielen anderen wird der gesamte Kreis der Surrealisten zum Leben erweckt.

Fazit: gelungen. Aber …

Alles in allem ist „Die Surrealistin“ ein sehr gelungener biographischer Roman. Ein wenig lässt er uns am Leben der Pariser Künstlerszene um Salvador Dali und Pablo Picasso teilhaben. Auch ein Anti-Kriegsroman steckt in dem Buch. Zugleich ist er die Geschichte einer Emanzipation und legt dar, was es braucht, um Kunst zu schaffen. Nur die Liebesgeschichte, die hätte es für mich nicht in dem Umfang gebraucht.

Doch jetzt weiß ich, dass ich es wagen könnte, mich vom Sprungbrett in das schimmernde Wasser fallen zu lassen. Die Tiere und Wesen auf den Bildern der Leonora Carrington sind nicht gefährlicher als das Leben selbst. Nur ob ich den Weg zurück finden würde – darüber bin ich mir immer noch nicht sicher.


Infos zum Buch:

Michaela Carter
Die Surrealistin

Übersetzt von Silke Jellinghaus und Katharina Naumann

Kindler im Rowohlt Verlag


Mehr über den Surrealismus auf dem Blog Elementares Lesen – ihr habe ich den Buchtipp zu verdanken! Ausführliche Rezension des Hörbuchs bei Petras Bücherapotheke. Sie geht sehr schön auf die Sprache des Romans ein.


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Ein Kommentar

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