Das, was nur außerhalb der vier Wände meiner Wohnung und außerhalb meines Hirn stattfinden kann, fehlt. Die Anregungen, die Beobachtungen, die Begegnungen und alles, was nur im Zusammenspiel entsteht – ich vermisse es.
So sehr, dass ich jetzt doch bereit war, mich auf ein Zoom-Kultur-Event einzulassen. Mein Fazit vorneweg: Es war inspirierend und ich werde lange davon zehren können. Aber es hat mir genauso schmerzlich bewusst gemacht, wie sehr mir das draußen fehlt.
Ich will wieder in Bilder hineinfallen können. Vor ihnen ruhig verweilen. Oder auch auf und ab tigern, um zu beobachten, wie andere Blickwinkel das Bild verändern. Ich will die Struktur des Pinselstrichs sehen können und mir einbilden, die Farbe zu riechen. Ja, ich möchte sogar wieder fremde Museumsbesucher beobachten können, ihre Wortfetzen hören und an ihrem Gesicht ablesen können, ob das Kunstwerk sie berührt.
Die beste Kuratorenführung und das aufmerksamste Zoom-Publikum sind dafür kein Ersatz. Das weiß ich jetzt.
Für das Museum Wiesbaden war es eine Premiere. Eine Video-Führung im Livestream durch das verschlossene Paradies der Ausstellungsräume. Zu sehen: „Paradies! Paradies?“. Bilder von August Macke aus allen Schaffensperioden, ein umfassender Überblick über sein viel zu schmales Werk. Eine Dokumentation der rasanten Entwicklung, die sein Malstil nahm. Ein fast schon intimer Blick auf sein Familienparadies und die Liebe zu seiner Frau Elisabeth. Und natürlich: Farben, Wärme, Licht und das pralle Leben in all seiner Schönheit und Zerbrechlichkeit.
Es folgte eine Gesprächsrunde mit dem Kurator Dr. Roman Zieglgänsberger, die mir ermöglichte, wieder die Avantgarde in den vertraut wirkenden, mir heute fast brav erscheinenden Bildern August Mackes zu sehen. Doch gerade beim Zuhören merkte ich, wie sehr mir das wirkliche Betrachten der Kunstwerke gefehlt hat. Während Kulturbürger-Erinnerungen an die liebsten Macke-Gemälde ausgetauscht wurden, konnte ich nicht über die Ausstellung reden, weil ich noch nicht wusste, was ich empfand.
Aus diesem Mangel an Empfindungen rettete mich das, was natürlich keine Bastelstunde war. Das Team des Museums Wiesbadens hatte eine prall gefüllte Materialbox an alle Teilnehmer geschickt, mit der wir unsere Vorstellung vom Paradies ausdrücken konnten. Das wurde ganz wunderbar einfühlsam von Daniel Altzweig moderiert, der es uns leicht machte „ins Material zu gehen“.
Mein Paradies sieht demnach so aus: Ein Weg, der von der Erde und aus dem Chaos heraus in einen stillen Raum führt und von dort aus in den nächsten … immer weiter. Mein Paradies ist ein Weg, auf dem ich mit einem stillen, in sich ruhenden Lächeln unterwegs bin.
Noch etwas für mich Bemerkenswertes passierte an dem Abend. Mikel Bower, der lieber in die Worte als ins Material ging, inspirierte mich mit seinem Gedicht zu eigenen Wort-Basteleien. Und bevor ich es mir wieder anders überlege, stelle ich sie hier online.
Paradies! Ein in sich
ruhendes Lächeln
Blumen erblickend.
Paradies? Ein stiller
Moment am Wegesrand
vorbei gegangen.
Doch eine Frage beschäftigt mich seit diesem Abend: Wie wäre die Veranstaltung verlaufen, wenn nicht mindestens zwei Drittel der Teilnehmer:innen in der Kunst- und Kulturbranche arbeiten würden? Ich mag es gerne herausfinden. Aber noch lieber möchte ich wieder ins Museum gehen.
Infos zur Ausstellung hier beim Museum Wiesbaden. Mehr Eindrücke auf Instagram unter #Commuwity.
Dank an das engagierte, gastfreundliche Team des Museums und an Anke von Heyl alias Kulturtussi, die äußerst lässig durch den Abend führte.
Spätestens jetzt sollten wir uns zu diesem Post-Museumsbier treffen und dieser Frage nachgehen, die auch mich immer wieder umtreibt und uns unsere Gedichte vorlesen. Es muss ja nicht am Wegesrand sein.
Ja, das Post-Museumsbier mit dir (wahlweise Rieslingschorle) hat mir an dem Abend ganz besonders gefehlt! Das holen wir noch nach. Und vielleicht gelingt es mir bis dahin, ein zweites Gedicht zu schreiben, damit ich etwas zum vorlesen habe. Ansonsten höre ich einfach deinen Gedichten zu. Wie ging es eigentlich mit den Nibelungen weiter? Und warum ist dieses, unser letztes, Kneipengespräch schon so lange her?
1. Die Nibelungen brach ich ab. Es ging ja um Mord und in Worms hatte ich eine Begegnung mit einer Schießerei. Da hatte ich keine Lust mehr.
2. Ich war danach nicht recht bewegungsfähig. Knie, Kreuz!