Charme, Erotik, Provokation: ein Blick auf Bücher aus Frankreich

Zitronentörtchen aus Frankreich

Zitronentörtchen, frisch vom Konditor. Dann bin ich mir sicher, dass ich in Frankreich bin. Französische Bücher sind genauso eigen und lecker.

Alle lasen Bukowski, also las ich Anais Nin, damals im Gymnasium. Verstanden habe ich sie erst mal nicht. Dazu fehlte mir noch vielerlei Erfahrung. Aber das störte mich nicht: Die Faszination war groß und das genügte mir vollkommen.

Aber hoppla,  was sucht Anis Nin in diesem  Beitrag? Nun, dass ihre Bücher zwar in Paris entstanden sind und wohl auch nur dort entstehen konnten, sie aber gar keine Französin ist, fiel mir erst später auf.

Dieser erste Kontakt mit französischer Literatur oder mit dem, was ich für französische Literatur hielt, enthielt also schon alles, was mich in meinem weiteren Leserinnen-Leben begleiten würde. Frankreich, das war Lust, Charme, Erotik, Grenzgänger, Querdenker, Kunst, eigensinnige Frauen. Zudem zeigt dieser Erstkontakt auch, dass immer mein Bild von Frankreich meinen Blick auf die Bücher überlagert hat.

So war Literatur aus Frankreich vor allen Dingen immer eines: das, was deutsche oder angelsächsische Literatur nicht hatte. Zur französischen Literatur griff ich stets dann, wenn mir alles andere fad und langweilig erschien.

Französische Bücher und ich – der Anfang

Anais Nin „Delta der Venus“ habe ich wohl 1985 zum ersten Mal gelesen. Zum Glück später dann noch mal. Mehr Reife auf Leserinnenseite tut ihren Büchern gut. Die nächsten französischen Bücher, die dann wirklich von französischen Autoren stammten, folgten bald. Als Auszubildende im Buchhandel saß ich ja an der Quelle und war umgeben von Menschen, die froh waren, wenn sie Bücher entdecken und empfehlen konnten.

So kam „Die schöne Hortense“ von Jacques Roubaud zu mir. Ein Liebesroman, ein Katzenroman und ein echter Kriminalroman – was waren wir entzückt von diesem Verwirrspiel! Natürlich spielte auch in diesem Buch Erotik eine wichtige Rolle, mais oui, so muss das doch sein bei einem französischen Buch, oder? Mein Versuch, das Buch heute wieder zu lesen, scheiterte jedoch. Ja, es hat Charme, aber für mich ist es heute zu geschwätzig.

Frankreich, das war für uns damals auch Kunst, Illustration und Film, Autorenfilm. Bücher wie „Tee im Harem des Archimedes“ oder „Betty Blue“ kamen so zu mir. Aber wie das bei mir so ist: Entweder mag ich den Film oder das Buch. Selten beides und in diesen beiden Fällen ziehe ich den Film vor.

Alle Frauen lasen damals „Der Kuss: Kunst und Leben der Camille Claudel“. Ich auch. Dieses Buch war sicherlich ein Grundstein für meine Museumsliebe und sorgte dafür, dass ich im Museum auch immer auf das achte, was nicht ausgestellt wird.

Comics kamen für mich damals aus Belgien oder Frankreich. Marsupilami, Franquin, Valerian und Veronique – ich habe sie alle verschlungen. Aber ein Künstler ließ mich nicht mehr los: Moebius. Kleine Anekdote am Rande: FIU – diese Abkürzung ist ein Running Gag bei mir. Steht für „Franzose im Urlaub“ und stammt aus dem Universum um Major Grubert.

Kunst, Charme und Erotik waren Aspekte, die mir als Leserin im Zusammenhang mit französischen Büchern immer wieder begegneten. Doch viel mehr im Gedächtnis blieb mir etwas anderes: die Lust an der Provokation.

Es wird provokanter: Darrieussecq, Despentes, Houellebecq

Kann man als Frau und Feministin Houellebecq lesen? Ich konnte es nicht. Zu weit weg von meiner Realität, von meinem eigenen Leben. Das gleiche gilt für Beigbeders Skandalbuch 39,90. Ich fand es gut gemacht, aber die Lust auf mehr weckte es nicht.

Virginie Despentes ist da für mich ein ganz anderes Kaliber. Ihr Roadmovie „Wölfe fangen“ war einfach … whäm. Die Frau traut sich was und ich folge ihr gerne. Ihr neues Buch „Das Leben des Vernon Subutex“ steht auf meiner Wunschliste.

Auf ganz andere Art traut sich auch Marie Darrieussecq etwas. „Schweinerei“ ist sinnlich, anstößig und spielt perfekt mit den Erwartungshaltungen an erotische Literatur von Frauen. Ein Grenzgänger, eine Perle, ein Fest!

Sehnsucht, sehnsüchtiger, Südfrankreich

Sonne in Südfrankreich

Sehnsuchtsort Südfrankreich. Kann man darüber lesen. Noch besser: hinfahren!

Peter Mayle habe ich natürlich als Buchhändlerin im Stapel verkauft. Nach Südfrankreich in Urlaub gefahren bin ich trotzdem gerne.

Selbst dann noch, als dort als Folge der Bücher von Mayle sehr, sehr viele Briten anzutreffen waren.

Im Gedächtnis geblieben ist mir jedoch ein ganz anderer Südfrankreich-Roman, ein literarischer Krimi. „Das ermordete Haus“ von Pierre Magnan hat mich mit seiner kargen, archaischen Wucht beeindruckt und hat mir zum ersten Mal eine Vorstellung davon gegeben, wie sich das Leben in den südfranzösischen Bergen anfühlen könnte.

Sehr spät griff ich zu dem Klassiker von Marcel Pagnol „Die Wasser der Hügel“. Falls ihr diesen Roman noch nicht kennt: Zögert bitte nicht so lange, wie ich es getan habe! Mehr Südfrankreich, mehr Traum vom einfachen Leben, mehr Charme und Witz geht kaum.

Gebrauchsanweisungen und französische Toiletten

An meiner eigenen Leserbiographie sehe ich sehr deutlich, dass ich immer meinem Bild von Frankreich hinterher lese, das geprägt ist von meinen Sehnsüchten und meiner Neugier auf andere Lebensentwürfe. Das ergibt ein ungefähr so realistisches Frankreich-Bild wie ein Asterix-Comic.

Selbst wenn ich versuche, mich dem Alltag in Frankreich anzunähern, geschieht das doch wieder durch eine sehr deutsche Brille. „Ein Jahr an der Côte d’Azur“ ist ein Beispiel dafür: Einerseits Alltagsgeschichten, andererseits feinste Expat-Romantik.

Absolut lesenswert finde ich Birgit Vanderbekes „Gebrauchsanweisung für Südfrankreich„. Da finden wir einmal solch wunderbare Geschichten wie die vom Bohneneintopf Cassoulet, der im Winter auf vielerlei Art die schlecht funktionierende Heizung ersetzt. Vanderbeke spielt aber auch ganz wunderbar mit den Blickwinkeln auf ihren Alltag in Südfrankreich, der doch kein südfranzösischer Alltag ist.

Meine persönliche Revue französischer Bücher wäre nicht komplett ohne den kleinen Reiseführer „Pissing in Paris“. Ja, es geht um Toiletten in Bistros und an öffentlichen Orten, die auf vielerlei Art eine Herausforderung darstellen können. Dagmar Fedderke, die wohl aus erotischen Gründen nach Paris gezogen ist, hat ihn geschrieben.

Dieses kleine Büchlein vereint alles, was ich hier vor Euch an Lektüre und Lese-Erfahrungen ausgebreitet habe: Provokation, Charme und Erotik – eben das, was meinen sicherlich sehr subjektiven Blick auf Frankreich und seine Bücher prägt!

Bleibt die Frage: Ist das ein typisch deutscher Blick auf Bücher aus Frankreich oder bin ich ein Opfer des Buchmarketings der deutschen Verlage? Wahrscheinlich ja. Aber muss mich das stören? Wie seht Ihr das? Und was habe ich an Büchern verpasst?

Die Bücher in der Reihenfolge ihrer Nennung im Beitrag:

Anais Nin – Das Delta der Venus

Jacques Roubaud – Schöne Hortense

Mehdi Charef – Tee im Harem des Archimedes

Philippe Djian – Betty Blue

Anne Delbée, Der Kuss. Kunst und Leben der Camille Claudel.

Moebius – Comics

Frederic Beigbeder – 39,90

Virginie Despentes – Wölfe fangen

Marie Darrieussecq – Schweinerei

Pierre Magnan – Das ermordete Haus

Marcel Pagnol – Die Wasser der Hügel

Annika Joeres – Ein Jahr an der Côte d’Azur

Birgit Vanderbeke – Gebrauchsanweisung für Südfrankreich

Dagmar Fedderke – Pissing in Paris

Dieser Beitrag gehört zur Blog-Aktion „Eine Reise nach Frankreich – #littripFR17“. Mehr Infos zur Aktion findet ihr bei Kielfeder und El Tragalibros, die diese virtuelle Reise organisieren.
Am 23. September findet unter dem Hashtag #littripFR17 eine Lesenacht auf Twitter statt – schaut vorbei, macht mit!

Logo der Blog-Aktion zur Buchmesse "Eine Reise nach Frankreich - #littripFR17"

Weiterführende Links und Beiträge auf meinem Blog:

4 Kommentare

  1. Liebe Dagmar,

    was für ein toller Beitrag! Ich hab mich gerade richtig festgelesen, weil es so schön war zu verfolgen, wie dich die französischen Bücher über Jahre hinweg weitergeführt haben. Und auch, wie ein wiederholtes Lesen scheiterte. Besonders toll fand ich ja, dass dich ein Buch zur Museumsgängerin hat werden lassen. Beim nächsten Museumbesuch werde auch ich mal auf die Dinge schauen, die nicht ausgestellt werden. Ich bin gespannt, ob mir da ein Lichtlein aufgeht (oder so ähnlich ^^).

    Liebe Grüße & noch einen wunderbaren Urlaub in Frankreich – deine virtuellen Postkarten sind so eine schöne Idee!
    Ramona

    • Liebe Ramona, danke schön!
      Für mich war es spannend,im Rückblick ein Muster in meiner Lektüre zu entdecken. Eigentlich müsste ich den Beitrag in 20 Jahren noch mal schreiben und prüfen, was von dem, was jetzt im Gedächtnis ist, dann immer noch im Gedächtnis sein wird.

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