Das Buch beginnt grandios mit der Lebensgeschichte des Generalpostmeisters Heinrich Stephan (1831 bis 1897). Seine Mission war es, eine einheitliche und verständliche Terminologie für das frisch vereinte deutsche Postwesen zu schaffen. Einschreiben statt rekommandiert oder Umschlag statt Couvert sind nur zwei Beispiele dafür. Auch bei der Bahn gab es viel zu tun: Aus dem französischen Billet wurde damals eine deutsche Fahrkarte.
Womit auch die Hauptschlagrichtung der Sprachpfleger klar wird: Es galt, französische Begriffe zu vermeiden. Was mehr mit der Haltung gegenüber dem „Erzfeind Frankreich“ als mit der tatsächlichen Verständlichkeit zu tun hatte. Denn „Dame“ war auch damals kein unübliches Wort, wurde aber trotzdem vom „Allgemeinen Deutschen Sprachverein“ bekämpft.
Sendungsbewusstsein und Nationalismus: der „Allgemeine Deutsche Sprachverein“
Der Sprachverein war ein Männerbündnis, getragen von Beamten, Lehrern, Dozenten. Bildungsbürger, deren Horizont von Goethe und den alten Griechen bestimmt wurde. Männer, die an das „genuin deutsche Denken und Fühlen“ glaubten. Undiplomatischer ausgedrückt: Patriarchen, Chauvinisten, Nationalisten und Rassisten. Ein ähnlicher Verein existiert auch heute.
Aus gut gemeinter Sprachpflege wurde schnell Überheblichkeit und Hetze. Karl-Heinz Göttert zeichnet den Weg des Vereins mit einer beeindruckenden Rechercheleistung nach. Doch leider verliert er dabei zwischendurch das Storytelling aus den Augen. Das liest sich dann wie: Auf diesen Zeitungsartikel gab es jene Replik und diesen Leserbrief und diese Petition scheiterte, weil …
Doch im letzten Drittel nimmt das Buch wieder an Fahrt auf. Dann schildert Göttert zum Beispiel, wie der Verein versuchte, Goebbels von seinen geliebten Fremdwörtern abzubringen. Keine gute Idee, aber sehr bezeichnend für das Sendungsbewusstsein der Vereinsmitglieder.
Natürlich gibt es unendlich viele Parallelen zu heutigen Sprachdiskussionen. Doch diesen Denkschritt dürfen Leserinnen und Leser selbst vollziehen. Karl-Heinz Göttert liefert Fakten und Argumente, drängt aber seine Meinung nicht auf. Auch damit setzt er einen Kontrapunkt zum Sprachverein.
Bibliographische Angaben zum Buch:
Karl-Heinz Göttert
Die Sprachreiniger
Der Kampf gegen Fremdwörter und der deutsche Nationalismus
Die Geschichte des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins
Ullstein-Propyläen
Ausführliche Rezension bei Spektrum.de und bei Deutschlandfunk Kultur.
Ein Buch, das gut dazu passt: Rechte Wörter.