Regionaltitel gleichen ja einer Wundertüte. Der Leser ist sich nie so sicher, was er bekommt. Von Hobby-Schriftstellerei über Vereinsschriften, die wohl nie zum Lesen gedacht waren, bis hin zu feinen Werken zu Nischenthemen kann alles dabei sein.
Diesmal hatte ich Glück. Mit „Die Einwohner sind ziemlich halsstarrig“ von Roland Vetter, erschienen im Wellhöfer Verlag, habe ich ein Buch aus der letzten Kategorie erwischt.
Eberbach im Odenwald ist eine Kleinstadt, die immer ein Stück abseits lag. Heidelberg war zwar nah genug, so dass man auch in Eberbach im 15. bis 17. Jahrhundert über das Zeitgeschehen in der Welt informiert war. Doch der Weg das Neckartal entlang in den Odenwald war beschwerlich, lohnenswerte Ziele gab es nicht und wohlhabend war die Gegend schon gar nicht. Das kann man, vor allem während des Dreißigjährigen Kriegs, auch als Glücksfall betrachten.
Über das Leben in solchen Städten weiß man wenig. Woher auch? In den Chroniken kommen sie nicht vor; berühmte Persönlichkeiten haben sie nicht hervorgebracht. Es gibt also nur wenig historische Quellen.
Wie aus Rechnungen Geschichten werden
Roland Vetter hat doch eine Quelle ausfindig gemacht: die Rechnungen der Bürgermeister aus dem Stadtarchiv. Klingt erst mal trocken. Doch Roland Vetter verpackt seine Erkenntnisse in Geschichten und lässt das Alltagsleben so lebendig werden. So gut erzählt machen sogar Rechnungen Spaß!
Zumal eine der wichtigsten Rechnung das Ungeld, die Weinsteuer ist. Gründe, Wein zu trinken, hat es mehr als genug gegeben. Zum Beispiel wenn eine der vielen Baumaßnahmen an Badhaus, Stadtmauer und Rathaus beschlossen wurden. Oder wenn eine beendet wurde.
So baut Roland Vetter seine Alltagsgeschichten auf. Mit detektivischen Spürsinn ermittelt er Zusammenhängen zwischen Einzelposten, forscht nach und kann letztlich das Wirtschaftsleben der Stadt Eberbach in Anekdoten nacherzählen und mit Fakten belegen.
Ein Beispiel dafür ist das jährliche Abfischen der Fischbestände im Stadtgraben. Die Fische wurden nach einem festgelegten Schlüssel an die Stadtbevölkerung verteilt. Darüber wurde natürlich Buch geführt. In seltenen Fällen gab es einen Überschuss an Fischen, der dann an den Adel verkauft wurde. Wenn dann immer noch Fische übrig waren, nahm diese ein Fischhändler aus Seckenheim bei Mannheim ab. In welchem Zustand die wohl dann dort ankamen?
Im Frühjahr wurden wieder Fische in den Stadtgraben gesetzt. Diese wurden bei den Fischern in Neckarau bei Mannheim gekauft! Mit dem Auto sind das heute 50 km, für die man eine knappe Stunde braucht. Wie lange die Fische damals unterwegs waren, lässt sich leider kaum noch ermitteln.
Später gab es keine Rechnungen mehr für Fische aus dem Stadtgraben. Doch anhand der Belege über Baumaßnahmen lässt sich ermitteln, dass der Graben mittlerweile so verdreckt war, dass er für die Fischzucht einfach nicht mehr geeignet war.
Regionalgeschichte, im Odenwald gekauft
Entdeckt habe ich das Buch übrigens in der Buchhandlung Kindlers in Mosbach, die mir richtig gut gefallen hat. Schönes Haus, gut ausgewähltes Sortiment, das auch mir mehr als genug Entdeckungen geboten hat – und ich bin bei Büchern nicht leicht zu überraschen!
Infos zum Buch:
Roland Vetter
Die Einwohner sind ziemlich halsstarrig
Alltag, Kultur und Wirtschaft im Odenwald während der Frühen Neuzeit
Wellhöfer Verlag
ISBN: 978-3-939540-64-9
Es gibt noch einen weiteren Band:
Der Odenwälder mag bisweilen etwas derb erscheinen …
Ein anekdotischer Streifzug durch Eberbach und Umgebung im 19. Jahrhundert.
ISBN 978-3-939540-62-5
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