Ein Jugendbuch über Kurt Cobain zu schreiben, ist eine fast unlösbare Aufgabe. Wie soll man für diese sensible Zielgruppe über einen Musiker schreiben, dessen Leben von unglaublich viel Talent, Drogen und alten Wunden geprägt wurde, sehr früh mit einem Selbstmord endete, und der heute noch als Ikone der Rockmusik verehrt wird?
Ein solches Unterfangen gleicht einer schwierigen Gratwanderung. Informieren, aber nicht verherrlichen. Empathisch schreiben, aber nicht zur Nachahmung anregen. Kurz: Ich hätte es nicht schreiben wollen. Aber lesen. Vielleicht verstehe ich ja danach die Heldenverehrung, die Kurt Cobain heute noch erfährt?
Warum ich kein Fan wurde: Nirvana in heavy Rotation
Ich hatte Nirvana relativ spät entdeckt. Gute Musik, eindeutig. Mir erst einmal einen Tick zu eingängig – Mudhoney lagen mir da näher. Doch bevor ich mich entscheiden konnte, ob mir Nirvana nun gefällt oder nicht, liefen sie in heavy Rotation. Auf MTV, im Radio, überall. Wenn in den Clubs die prägnanten Eröffnungsakkorde von »Smells like Teen spirit« erklangen, strömte alles auf die Tanzfläche, die ich genau dann verließ.
Was nach dem Selbstmord von Kurt Cobain passierte, ließ mich, genau wie die bis heute andauernde Verehrung, perplex zurück. Vielleicht kann das Buch »I don’t have a gun. Die Lebensgeschichte des Kurt Cobain.« Licht in die Angelegenheit bringen? Es konnte – aber auf einem ganz anderen Weg als erwartet.
I don’t have a gun – von wegen!
Der Autor Marcel Feige schildert in seinem Buch die Kindheit von Kurt Cobain unerwartet ausführlich. Dem eigentlichen Erfolg von Nirvana widmet er nur ein Drittel des Buches. Das hat mich erst einmal gewundert, sorgt aber dafür, dass man den nicht ganz einfachen Charakter von Kurt Cobain besser verstehen kann.
Wobei verstehen bei dieser Biographie nicht mit »gut heißen« gleichzusetzen ist. Marcel Feige schildert sehr sachlich und achtet strikt darauf, nicht zu werten. So gut wie jeder hat Mist gebaut, aber keinem kann man die Schuld am Selbstmord und dem Drogenmissbrauch geben. Weder den Eltern Kurt Cobains, noch seinen Freunden, noch der Musikindustrie und vielleicht sogar noch nicht mal ihm selbst. Keiner ist unschuldig, aber niemand ist schuld.
Dadurch wird Kurt Cobain vom Sockel der Verehrung geholt und der Fokus auf sein enormes musikalisches Talent gerichtet. Mehr als einmal wird betont, wie viel Arbeit es erfordert, um als Band so gut spielen zu können – da scheint dann doch das Genre Jugendbuch sehr deutlich durch.
Trotz aller Sachlichkeit liest sich das sehr gut und ich habe mein Ziel erreicht: Ich kann jetzt nachvollziehen, wie es zur Heldenverehrung kam und was für eine enorme Projektionsfläche Kurt Cobain bietet.
Angaben zur Biografie:
Marcel Feige
»I don’t have a gun«.
Die Lebensgeschichte des Kurt Cobain.
Jugendbuch. Empfohlen ab 14 Jahren.
Beltz Verlag
ISBN 978-3-407-81087-8
Noch eines fiel mir auf: Mit wie viel Respekt Marcel Feige von den Frauen in Kurt Cobains Leben schreibt. Deswegen endet dieser Beitrag auch nicht mit einem Nirvana-Song, sondern mit meinem Lieblingssong von Courtney Love und ihrer Band Hole:
Vielen Dank für die tolle Rezension, die mein Bemühen mit der Cobain-Biografie ziemlich gut auf den Punkt bringt. ??❤️
Das freut mich! Und ja, ich hätte den Job nicht mit dir tauschen wollen. Dazu erinnere ich mich noch zu gut an heulende Teenager, die ihr letztes Taschengeld bei mir in der Buchhandlung für teuer importierte Kurt Cobain Kalender ausgeben. Ganz heikles Thema!
Pingback:Was für ein Buch: Keine halben Sachen - GeschichtenAgentin