Völlerei! Auch wenn ich ganz sicher nicht in Kategorien wie Todsünden denke, ist Völlerei doch ein Wort, bei dem mein schlechtes Gewissen gleich zuckt. Warum eigentlich?
All-you-can-eat war noch nie mein Ding. Ich habe mich schon lange nicht mehr so vollgefressen, dass ich in ein Fresskoma gefallen wäre und mich nicht rühren konnte. Meine Portionen sind kleiner geworden, der Genuss dafür größer. Aber wäre der Christstollen heute Morgen zum Frühstück nötig gewesen? Beginnt Völlerei erst beim Überfressen oder schon dann, wenn wir mehr Kalorien zu uns nehmen, als wir bräuchten?
Ein zuckendes schlechtes Gewissen ist für mich eher kein Grund, zu einem Buch zu greifen. Doch wenn sich der Restaurantkritiker Jürgen Dollase, der zudem begnadet gut erzählen kann, dem Thema Völlerei widmet – dann will ich das lesen!
100 Seiten später weiß ich: alles richtig gemacht. Sowohl mit meinen kleineren Portionen, dem bewussten Genuss, der auch mal über meinem Kalorienbedarf liegt, als auch mit der Wahl des Buches. Sehr schnell, aber nicht ohne mit einem Kardinal zu sprechen, verlässt Dollase den Themenbereich der Todsünde und widmet sich dem, was er bestens kann: Essen genießen, analysieren und darüber erzählen. Natürlich sind es gerade die Anekdoten aus seinem Leben und die Einblicke in seine Arbeit als professioneller Esser, die das Büchlein so empfehlenswert machen. Aber auch sonst gibt es viele Aha-Momente, die verdeutlichen, warum wir immer wieder über den Hunger hinaus essen und wie sich das die Lebensmittelindustrie zunutze macht.
Das Buch endet mit einem Plädoyer für den bewussten Genuss. Dollase formuliert das natürlich deutlich spitzer. Seine »Aufforderung zur kontrollierten Völlerei oder: Zehn Tipps, um mehr essen und genießen zu können« sind ein krönender Abschluss für die amüsante Lektüre!
Infos zum Buch:
Jürgen Dollase
Völlerei
Das große Fressen
Hirzel Verlag
Weitere Bände der Todsünden-Reihe:
Gier. Wenn genug nicht genug ist von Barbara Streidl
Lust. Fuckability, Orgasm-Gap und #metoo von Henriette Hell
Wut! Mut zum Zorn von Johanna Kuroczik