Es gibt diese Abende mit Freunden, an denen der für den Anlass vorgesehene Wein zum Essen bereits ausgetrunken wurde. Dann geht die Gastgeberin in den Keller und kommt mit einem Korb voller Einzelflaschen wieder. Während sie nachschenkt mäandern die Gespräche am Tisch von gnadenlos blödsinnig und zynisch über persönlich und berührend bis hochpolitisch und lebensklug. Genau so ein Roman ist »Kork« von Sophia Fritz und Martin Bechler – und damit ein Buch für mich.
Wer einleuchtende Handlungsstränge bevorzugt, sollte jedoch die Finger davon lassen. Weder bei den Weinen, die getrunken werden, noch bei den Witzen, die gemacht werden, und schon gar nicht bei den Ereignissen im Leben der Protagonisten, gibt es eine klare Linie. Warum sollte es auch? Hätte man die Handlung gestrafft, wäre es nicht dieses Buch. Denn dann gäbe es keinen Raum für die Erörterung der Frage, welchen Wein man bei einer Alien-Invasion serviert.
Bei der Weinempfehlung ist hier vor allem auf die Bekömmlichkeit ergo Säurearmut zu achten, da wir über die Beschaffenheit des Alienverdauungstraktes wenig bis gar nichts wissen.
Und auch nicht für Gespräche zwischen Freundinnen wie dieses
Ich hatte mal was mit jemanden, sagte ich zu Julia, während wir den Schiffen auf dem Rhein hinterhersahen, der jetzt Flyer für die FDP verteilt.
Ich hoffe, ihr habt verhütet.
Dann würde deutlich weniger Wein, geschliffene Sarkasmen und Sprüche auf die Seiten passen. Das wäre schade.
Doch das Buch hat mehr zu bieten als fiesen Witz, derbe Sprüche und feine Ironie. Unter anderem eine Familiengeschichte, in der ich, die keine Familienromane mag, mich sofort zuhause gefühlt habe. Glühwein trinken mit der Tante, die bald die Stiefmutter sein wird, auf dem Weihnachtsmarkt. Im Altersheim Eierlikör kredenzende Großmütter. Legendäre Grillfeste mit dem Nazi-Onkel, schlechten Playlists und der jungen Generation, die versucht, sich Gehör zu verschaffen.
Dazwischen immer wieder die Frage: Wo bin ich und wo will ich hin? Studium abschließen, Therapie fortsetzen, weiter in der Kneipe jobben, nach Berlin umziehen, Reihenhaus bauen, schwanger werden? Oder doch einfach so weiterleben, wie gute Kneipengespräche verlaufen – planlos, aber voller Herzenswärme?
Immer präsent in »Kork« ist die ganz große Sinnfrage: Welcher Wein passt zu all diesen seltsamen Momenten, die im Rückblick unser Leben ergeben? Deswegen gibt es zu jedem Kapitel (und das sind viele) einen Weintipp. Die lauten ungefähr so:
Weinempfehlung bei der zweiten Hochzeit des Vaters: Mariano Abbona – Barolo (Italien). Kombinierbar mit: Kirschschnaps, Schlagern, Suppenkoma, Verlustängsten.
Denn wenn sich schon das Leben falsch anfühlt, dann muss wenigstens der Wein passen!
Angaben zum Buch – und wie schön ist bitte diese Buchgestaltung!
Sophia Fritz
Martin Bechler
Kork
Das müsst ihr euch unbedingt anschauen – nicht nur, weil ihr dann mehr zum Inhalt erfahrt als in meiner Rezension!
Was empfehle ich zu einem Roman mit Weinempfehlungen?
Naheliegend wäre die Gebrauchsanweisung Pfalz. Oder In 33 Bieren durch Franken. Aber meine Empfehlung sind die Erinnerungen von Vincent Klink!
Pingback:Berliner Verlage als Tor zur Welt – the little queer review