Sieben verlorene Perlen. Rayyans Reise zu den Schätzen des Islams – Mouhanad Khorchide

Sieben verlorene Perlen.
Rayyans Reise zu den Schätzen des Islams. Roman von Mouhanad Khorchide

Im Islam ist es normal, dass … – bei solchen Formulierungen zucke ich zusammen. Was weiß der Sprechende über den Islam und seine Bandbreite? Ist ihm bewusst, dass es „den Islam“ genauso wenig gibt wie „das Christentum“? Zwischen den Vorstellungen der Christen des Bible Belts in den USA und dem, was mir der evangelische Pfarrer im Konfirmanden-Unterricht vermittelt hat, liegen Welten. Auch wenn ich nur einen geringen Einblick in die Glaubenswelt der Muslime habe, weiß ich doch, dass es bei ihnen ebenfalls so ist. Was ich bis zu diesem Buch zwar ahnte, aber nicht sicher wusste: Genau wie bei der Bibel sind auch beim Koran viele Auslegungen möglich. Die können sich genauso fundamental unterscheiden wie die Frage, ob Eva aus der Rippe oder der (gleichberechtigten) Seite Adams gemacht wurde.

So weit die Gründe, warum ich neugierig war auf „Sieben verlorene Perlen. Rayyans Reise zu den Schätzen des Islams“ von Mouhanad Khorchide. Und nun Vorhang auf für ein bemerkenswertes Buch:

Eine Reise durch den Islam in all seinen Ausprägungen

Rayyan wächst als Sohn staatenloser Palästinenser in Saudi-Arabien auf. Dort darf er auf Grund seiner Staatenlosigkeit nicht studieren, weswegen ihn seine Eltern nach Europa schicken. Das ist die realistische Ebene der Erzählung. Die zweite ist magisch-realistisch: Rayyan hadert mit der Frage, warum der Islam heute keine Hochkultur mehr ist. Ein Traum führt ihn daraufhin nach Mekka. Dort begegnet er dem geheimnisvollen Scheich Hasan, der ihm eine muslimische Gebetskette schenkt. „Finde die sieben verlorenen Perlen und du wirst verstehen, was dem Islam heute fehlt.“ Damit beginnt Rayyans Mission.

Khorchides Erzählung ist klug konstruiert. Schon in Saudi-Arabien erfährt Rayyan wegen seines Status Ausgrenzung: fehlende Bildungschancen, schlechtere Jobs, keine Krankenversicherung. Als er mit dem Studium in Österreich beginnt, fällt er aus allen Wolken: er als fremder Student ist dort krankenversichert! Warum ist der Westen, der doch laut seiner bisherigen Lehrer dekadent und verdorben sei, barmherziger zu ihm als seine eigenen Glaubensbrüder?
Als nächstes sucht er eine Moschee für sein Freitagsgebet. Die Suche gestaltet sich schwieriger als erwartet und führt die Leser*innen so nach und nach zu allen Ausprägungen des Islams in Europa. Dabei begegnen uns Frauen mit und ohne Kopftuch, Sufi-Meister, schwule Muslime, Fundamentalisten, Konvertiten – eben einfach die ganze Vielfalt des Glaubens. Mit jeder neuen Begegnung wird Rayyans Gebetskette ein bisschen vollständiger.

In den wenigen schlechten Momenten des Buches hat diese Handlungskonstruktion den Charme eines hölzernen Lehrgedichts. Doch in allen anderen Momenten ist sie schlicht weg empathisch und augenöffnend. Denn das ist Mouhanad Khorchide wichtig. Er hat nicht die eine Deutung, die eine Auslegung des Glaubens parat. Er gibt Denkanstöße, die er gleich darauf von vielen Seiten beleuchtet. Dafür verbindet er das Gestern mit dem Heute, die Philosophie mit der Politik, die Moral mit der Realität, die Geschichte mit der Zukunft. Grundlegende Aspekte des Glaubens werden ausführlich und wertschätzend diskutiert und mit Koran-Zitaten belegt. Dabei wendet er sich ausdrücklich gegen einen politischen Islam, der den Glauben benutzt, um die eigene Macht zu stabilisieren und dafür Menschenrechtsverletzungen und Armut in Kauf nimmt. Stattdessen rückt er zentrale Werte der islamischen Kultur in den Mittelpunkt und schildert den Islam als eine zukunftsfähige Religion der Barmherzigkeit und Menschenliebe.

Religiös sein bedeutet, Hand der Liebe zu sein.

Mouhanad Khorchide: Sieben verlorene Perlen. Rayyans Reise zu den Schätzen des Islams. S. 42

Die „Sieben verlorene Perlen. Rayyans Reise zu den Schätzen des Islams“ ist kein Buch der einfachen Antworten. Genau deswegen habe ich es mit großem Gewinn gelesen.


Bibliographische Angaben zum Buch:

Mouhanad Khorchide

Sieben verlorene Perlen.
Rayyans Reise zu den Schätzen des Islams.

Bonifatius Verlag


Wenn wir schon mal bei den großen Weltreligionen sind: Wie gut kennt ihr euch mit dem Judentum aus? Dieses Buch erzählt von den jüdischen Festen und dem jüdischen Familienleben.


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